Foto: Luca Maximilian Kunze
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0331

Elias Hirschls kleines aber feines Manifest
für die aufgeschlossene, verwirrte junge KünstlerIn

1. Vollbringe künstlerische Handlungen.

2. Stelle deine künstlerischen Handlungen stets in Frage.
2. 1. Stelle sie auf jeder Ebene und in jedem Detail in Frage – jeden Aspekt der Entstehung und Existenz des Werkes, einschließlich seiner Entstehung und Existenz.
2. 2. Vergiss nicht auch das Alles-in-Frage-Stellen stets in Frage zu stellen.
2. 3. Stelle generell alles in Frage, was in Beziehung zu deinem Werk stehen kann, also jede neue Idee, jede mögliche Inspirationsquelle, und dieses Manifest insbesondere, sowie seine Aufforderung es in Frage zu stellen u.s.w.u.s.f.

3. Fehler werden nicht ausgemerzt, sondern in das Werk miteinbezogen. Sie bilden den neuen Kernpunkt des Werks.
3. 1. Mach daher nicht zu viele Fehler, sonst wird die Sache kompliziert.
3. 2. Gleichsam den Fehlern werden auch unwichtige Kleinigkeiten und blöde Witze genauso ernst genommen wie alle anderen Aspekte des Werks. Je unwichtiger sie scheinen, desto ernster müssen sie genommen werden.

4. Vergiss zwischendurch nicht zu atmen und mach dir einen Kaffee.

5. Kommentiere dein Werk und lass die Kommentare Teil des Werks werden.
5. 1. Lass auch die (negativen) Kommentare anderer Menschen Teil deines Werks werden.
5 . 1. 1. Etwa indem du sie im Wortlaut zitierst und anschließend ausführlich erklärst, warum sie nicht Recht haben und ihre Integrität als Kunstkritiker ernsthaft in Frage stellst, indem du ihnen vorwirfst ein nichtsnütziges Arschloch, und somit wegen der fehlenden Gliedmaßen und Gehirnwindungen als Kunstkritiker ungeeignet zu sein, denn nichts anderes sind diese Ausgeburten der Kunsttheorie.
5. 1. 2. Und vergiss nicht, das in Frage zu stellen.

6. Ein Kunstwerk ist nie vollendet.
6. 1. Vor Verlegern, Kuratoren, Kritikern, etz. muss man es notgedrungenerweise einfach behaupten, sonst verdient man kein Geld, kann sich kein Essen leisten und stirbt.
6. 1. 1. Stell das in Frage!

7. Trink den Kaffee. Er wird sonst kalt.
7. 1. Stell das in Frage!

8. Vergiss zwischen all dem In-Frage-Stellen nicht an deinem Werk zu arbeiten.
8. 2. Stell das in Frage!

9. Wiederhole dich in deinem Werk nicht, sondern erschaffe mit jeder neuen künstlerischen Handlung eine Knospe der Innovation.

10. Egal was du tust, verfalle nicht dem süßlichen, falschen Charme der Metafiktion, indem du etwa Listentexte schreibst, in denen du mittels Metawitzen ausführlich auf die Tatsache eingehst, dass du eben jenen Listentext schreibst, den du gerade schreibst, und dir der Tatsache vollends bewusst bist, dass du von ebenjener Metafiktion Gebrauch machst, von der du gerade Gebrauch machst, denn solche metafiktionalen Bemerkungen machen den Text nicht besser, sondern zeigen dem Rezipienten nur umso mehr, was für ein erbärmliches, unkreatives Geschöpf du bist, weil du, anstatt dir etwas Neues auszudenken, dich nur immer weiter in dem vergräbst, was du bisher erschaffen hast, und dabei auf die Art und Weise vergeblich versuchst deine Ehre wiederherzustellen, indem du zeigst, dass du zumindest intelligent und reflektiert genug bist, um die Gründe deines eigenen Tuns zu erkennen, was die ganze Sache aber nur noch peinlicher macht, weil du offenbar trotz deiner Intelligenz und Reflexionsgabe nicht dazu fähig bist ebenjene zum Erkennen der eigentlichen Wahrheit zu nutzen – nämlich jener, dass du einfach mit dem Schreiben von derartigen Gedankenspiralen aufhören solltest, so lange es dir noch risikofrei möglich ist, und das Blatt Papier auf dem du gerade schreibst zur Schadensbegrenzung möglichst schnell verbrennen, und es eben nicht durch eine öffentliche Publikation für alle Zeiten konservieren solltest, da du damit der Welt und den wenigen Lesern deiner Bücher, die in ihr leben, deine Unfähigkeit als Künstler offenbarst, was wirklich sowas von Neunzehnhundertsechsundneunzig ist.
10. 1. Stell das in Frage!

0330

Plagiat


sie schweigen sich an
und bezeichnen die Art
des Schweigens der andern
als Plagiat

0329

Pulver


Wenn ich der Medizin des 21. Jahrhunderts Glauben schenken darf, kann ich mit den Kalorien, die ich heute zu mir genommen habe noch circa 12 Stunden in diesem Tempo weiterlaufen, ehe meine Muskeln versagen oder meine Lungen kollabieren oder mein Herz aufhört zu schlagen, dachte sich Erwin Schulz.
Die Allee, die er vor fünf Minuten hinter sich gelassen hatte, war bereits außer Sichtweite und die letzte Straßenlaterne hatte inzwischen aufgehört zu leuchten, was die Straße in eine angenehme Finsternis hüllte, die gleich der aufgehenden Sonne weichen würde.
Sein Herz schlug so schnell wie bei seinem ersten Mal in der unangenehm feuchten Kälte des einzigen Dorfbordells weit und breit und Erwin erkannte, dass er sich mehr auf das Laufen konzentrieren könnte, wenn er es endlich schaffen würde, den Stimmen in seinem Kopf weniger Aufmerksamkeit zu schenken, die ihn unablässig daran erinnerten, dass er sich eine Waffe besorgen und damit um sich schießen solle.
Leitpfosten flogen an ihm vorbei wie Wolken und der Unterdruck machte Erwins Schultern schwerer und schwerer.
Sein Vater hatte sich erschossen als er 11 war und seine Mutter zwei Jahre später. Die Psychose war in seinem 17. Lebensjahr ausgebrochen und bei ihm geblieben.
Die Blaulichter der Polizeistreifen flackerten hinter ihm und spiegelten sich ganz leicht in den Pfützen und an Erwins Fingernägeln.
Ganz ruhig, sagte sich Erwin. Vielleicht war es nur das reguläre Engelsleuchten, das ihn regelmäßig heimsuchte. Oder die Aurora. Vielleicht hatte sich das Erdmagnetfeld umgepolt. Zur Sicherheit biss er sich trotzdem im Laufen die Fingernägel ab.
Vor ihm ging langsam die Sonne auf und warf erste Strahlen auf die nun, von Rapsfeldern umgebene Landstraße, auf der Erwin dahinflog.
Wie im Urlaub, dachte er sich und starrte auf den Horizont. Urlaub hieß für ihn Weißbrot statt Schwarzbrot und seine Pulver in Eistee verrührt zu bekommen. Es war jetzt 36 Stunden her, seit er das letzte mal seinen Eistee getrunken hatte. Die Stimmen in seinem Kopf erinnerten ihn daran.
Neben den Stimmen hörte er auch wieder die Sirenen der Polizeiautos.
Er zählte die Sekunden zwischen Blaulicht und Sirene und berechnete so, wie weit die Polizei noch entfernt war. Das Ergebnis war wenig zufriedenstellend.
Wenn sie ihn schnappen würden, würden sie ihn verhaften. Die Vergewaltigungen und die Raubüberfälle konnte man ihm nachweisen, aber die Leichen hatte man noch nicht gefunden, also vorerst kein Grund zur Unruhe.
Da die Polizei nach einem, Zitat: „wahnsinnigen, schreienden Mann im Schlafanzug“ suchte, zog sich Erwin aus und fing an, ein Lied über geistige Gesundheit zu singen. So würde man ihn nicht erkennen.
Seine Kleidung blieb hinter ihm auf dem nassen Asphalt liegen, wie ein Rudel überfahrener Hunde. Wenn Erwin nicht sofort anfing, schneller zu laufen, würde das Rudel wieder aufspringen, ihn einholen, im Vorbeilaufen in Stücke reißen und ihn wiederum liegenlassen wie ein Rudel überfahrener Hunde. Erneut wiesen ihn die Stimmen auf diesen Sachverhalt hin.
Als Erwin an einem zugefrorenen See vorbeilief, beschlich ihn ein Gefühl, als würden seine Fußsohlen immer heißer werden. Den See konnte er als Fluchtweg also ausschließen, weil die Eisdecke unter seinen Füßen davonschmelzen würde. Im schlimmsten Fall würden seine Füße so heiß werden, dass das Eis auf der Stelle verdampfen würde, und Erwin wollte beileibe keine Explosion riskieren, und insbesondere nicht nackt.
Sein Körper würde in kleine Stückchen zersprengt werden.
Kleine Stückchen mit Verbrennungen.
Verbrennungen hohen Grades.
Die Polizei hätte leichtes Spiel mit ihm. Allerdings würde sich seine lebenslange Haftstrafe auf ein Minimum reduzieren, aufgrund seines auf ein Minimum reduzierten Lebens.
Erwin hielt das für die bessere Lösung. Er riskierte es und explodierte.
Die Polizei hatte leichtes Spiel mit ihm.

0328

Die verkürzten Leiden des jungen Werther


Ich bin der junge Werther
Hab Leiden von Beruf
Und bin der Verehrer
Der Frau Charlotte Buff

Die ist aber verlobt
Mit Albert, ach wie dumm
O, welch Elend in mir tobt
Ich glaub ich bring mich um

0327

Der scheinbar gesunde Eunuch


Von einem Mann
Mit Obst im Mund
Nahm ich an
Er sei gesund

Doch dem Mann
Mit der Banane
Fehlten die
Geschlechtsorgane

0326

Der zweite Protagonist


Sehen Sie den Protagonisten? Nein, wie sollten Sie auch, er ist ja gar nicht im Bild. Im Bild ist nur meine Stimme. Sie sehen den Protagonisten nicht, aber ich kann Ihnen sagen, dass er nicht glücklich aussieht. Genaugenommen sieht er sogar sehr traurig aus. Wissen Sie warum er traurig aussieht? Ich werde es Ihnen sagen: Er kann nicht sprechen. Er kommt einfach nicht zu Wort. Und das hat einen guten Grund. Ich lasse ihn nämlich einfach nicht sprechen. Es ist kein Platz für seine Stimme. Auf dem ganzen Blatt hier stehen nur Wörter, die so aussehen sollen, als wären sie aus meinem Mund gekommen. Natürlich habe ich keinen Mund, aber für Sie ist es sicher einfacher sich vorzustellen, dass Wörter aus einem Mund kommen. Die Wahrheit ist jedoch, dass die Wörter einfach nur da sind. Sie kommen überhaupt nirgendwo her. So wie der Protagonist. Er kommt eigentlich auch nirgendwo her. Er ist nicht einmal da. Es gibt ihn gewissermaßen gar nicht. Ich behaupte einfach nur, dass er da ist. Und ich behaupte ebenfalls, dass er traurig ist. Und das ist doch logisch. Sie wären auch traurig, wenn ich Sie nicht zu Wort lassen kommen würde. Ich gebe dem Protagonisten einfach nicht die Möglichkeit hier zwischen meine Wörter seine eigene Meinung einzuschieben. Natürlich hat er gar keine Meinung, und wenn er eine hätte, dann wäre es in Wirklichkeit nur eine von mir erfundene Meinung, und mich gibt es ja auch nicht, aber es ist für Sie leichter vorstellbar, wenn es einfach so wäre, wie Sie es gerne hätten, nicht wahr? Sie haben ja eigentlich auch keine Meinung. Es gibt Sie gar nicht. Wieso sollte es Sie auch geben? Ich lasse Ihnen ja schließlich auch keinen Platz hier etwas loszuwerden, oder? Ja, man könnte fast sagen, dass ich ein ziemlicher Egoist bin, der sich selbst für sehr wichtig hält, obwohl es ihn nicht einmal gibt. Der Erzähler existiert nun einmal nicht. Er behauptet vielleicht, dass er grüne Haare und Stöckelschuhe hat, sowie 23 Schreibmaschinen und mindestens 30 Aktentaschen besitzt, aber das macht ihn um keinen Deut realer. Langsam tut aber sogar dem Erzähler der Protagonist Leid, so traurig wie er da dreinschaut. Der Gesichtsausdruck würde sogar einen handelsüblichen Bürostuhl zum Weinen bringen. Genau genommen weint der Erzähler auch in diesem Moment. Es gibt ihn zwar nicht, aber das Weinen ist ganz deutlich zu vernehmen. Er kann aber nichts tun. Wie Sie sehen, muss er einfach weitererzählen. Er ist einem grausamen inneren Zwang unterworfen. Er möchte den Protagonisten ja gar nicht quälen, aber er kann einfach nicht anders. Ich wollte ihm schon oft sagen, dass er sich in Therapie begeben soll, aber er lässt mich ja genauso wenig zu Wort kommen.

0325

Auf dem Lande


Auf dem Land gibt es einige Unterschiede. Da man hier nichts hört, außer Vogelgezwitscher, schimpfen die Leute natürlich auf die Vögel. Zu laut sind die. Und viel zu viele gibt es davon, seit die Katzen weg sind. Viel zu viele Mäuse und viel zu viele Vögel seit die Katzen weg sind. Es gibt auch viel zu viele Rehe, aber das hat nichts mit den Katzen zu tun. An den Rehen sind die Jäger Schuld, sagen die Bauern. Die Jäger schießen nicht genug Rehe, sagen die Bauern. Und die Rehe fressen den Hopfen, sagen die Bauern. Und die Rehe sind doch für die Jäger da und der Hopfen für die Bauern und nicht für die Rehe. Als Bauer braucht man seinen Hopfen. Die Jäger können eigentlich auch nichts dafür, dass es zu viele Rehe gibt. Sie schießen so viele Rehe wie eh und je. Nur die Rehe werden halt immer mehr. Der einzige natürliche Feind des Rehs ist das Auto. Und die Autofahrer fühlen sich halt nicht dazu verpflichtet Rehe umzufahren. Die wollen das ja sogar lieber vermeiden. Die Jäger dürfen eigentlich auch gar nicht mehr Rehe schießen. Sonst beschweren sich die Anrainer über den Lärm vom vielen Schießen. Die Vögel sind zwar laut, aber das Geschieße ist trotzdem immer noch schlimmer, sagen die Anrainer. Wenn die Jäger wenigstens auf die Vögel schießen würden und nicht auf die Rehe. Die Rehe machen doch eh keinen Lärm, sagen die Anrainer. Die Jäger wollen auch selber gar nicht mehr Rehe schießen. Sie sind schon manchmal überfordert mit den Rehen die sie jetzt schon schießen. Alle geschossenen Rehe muss man, wenn sie nur verwundet sind, artgerecht töten und dann (der schlimmere Teil) nach Hause schleppen. Da kommt der Jäger jetzt mit seiner Beute auf dem Rücken den ganzen Weg durch den tiefen Wald gewandert, um das geschossene Reh stolz und voller Erwartung auf Anerkennung seiner Frau zu präsentieren, und kriegt von dieser nichts weiter zu hören, als, dass in der Gefriertruhe ohnehin kein Platz mehr für noch mehr Rehe sei und dass die Frau es leid sei tagtäglich Rehbraten oder Rehfilet oder Rehschnitzel zu essen und warum der Jäger nicht einfach mal einen Kürbis oder ein paar Zucchini schießen könne, die bewegen sich doch eh nicht.
Bei all den Rehen überlegte man schon, ob man die natürliche Feindfauna des Rehs rekultivieren sollte. Also genauer gesagt Wölfe und Bären wieder ansiedeln, damit die Jäger weniger zu schleppen haben. Das geht solange gut, bis es einem Wolf irgendwann auch zu blöd wird tagtäglich Rehfleisch zu essen und auf kurz oder lang dann einmal ein Schaf reißt. Da Schafe im Gegensatz zu Rehen wertvoller (weil behaarter) sind, gibt das natürlich sofort einen riesigen Tumult mitsamt Bauernaufstand, weil Wölfe schließlich wissen sollten, dass sie keine Tiere zu fressen haben, aus denen man noch mindestens ein bis zwei Pullover anfertigen hätte können. Nach solch einem Vorfall ist es egal, wie viele Wölfe nun angesiedelt worden waren, aber es waren ganz klar zu viele.
Bauern sind gegen so was aber abgedeckt. Wenn ein Wolf ein Reh frisst, bekommt der Bauer sofort Entschädigung vom Staat. Wenn ein Biber einen Damm baut und dadurch ein Getreidefeld überflutet wird, bekommt der Bauer auch Entschädigung vom Staat (Biber-Management). Fraglich ist es, ob man als Bauer Entschädigung bekommt, wenn ein Biber ein Schaf frisst und fraglich ist es auch, wer Entschädigung bekommt, wenn ein Schaf einen Bauern frisst.
Entschädigung bekommt man auch als Zivilist, wenn man ein Reh überfährt. Das nennt sich dann Wildschaden. Alles was man tun muss, ist nachzusehen, ob das überfahrene Tier noch lebt, wenn dem so ist, herausfinden, wer der zuständige Jäger ist, dann den zuständigen Jäger herbeirufen, diesen das Tier ordnungsgemäß töten lassen, der Polizei melden, dass man ein Tier überfahren hat, nichts an dem Auto ausbessern lassen oder die Blut- und Haarspuren des Tieres an der Stoßstange entfernen, bis sich nicht ein Gutachter die Blut- und Haarspuren angeschaut hat, um zu bestätigen, dass da tatsächlich Blut- und Haarspuren an dem Auto sind, anschließend das Auto säubern und reparieren lassen und mit der Rechnung das Geld zurückfordern.
Alles in allem ist es einfacher, das Reh direkt der Frau des Jägers anzudrehen, oder es einfach gleich an Ort und Stelle zu verspeisen.

0324

Punk (Liedtext)


Wir wollen, dass ihr das System abschafft
Wir wollen, dass ihr das System abschafft
Es ist uns egal wie ihr das schafft
Wir wollen, dass ihr das System abschafft

Wir wollen, dass ihr mehr Bier einkühlt
Wir wollen, dass ihr mehr Bier einkühlt
Es ist uns egal wie ihr euch dabei fühlt
Wir wollen, dass ihr mehr Bier einkühlt

Denn jeden Tag sterben Leute
Sie sterben gestern und sie sterben auch heute
Wollt ihr etwa, dass noch mehr Leute draufgehen?
(Chor:) Nein!
Dann kühlt mehr Bier ein und stürzt das System

0323

Die Reise


In der kleinen Stille eines Tales stieg eines Tages ein Mann mit offenem Schirm aus einem See. Kalt sah er sich um und trocknete. Die Ruhe versprach Lärm. Angesicht in Angesicht mit einem Baum wurde klar, dass entweder der Mann oder der Baum gehen musste. Da der Baum sich erstens wenig kooperativ zeigte und zweitens in der Überzahl war, zog der Mann mit seinem Schirm davon. Er stürmte die Einöden und befragte die Wolken (am Himmel) nach dem Wetter. Da es regnete, steckte er sein Gehirn zum Schutz vor Nässe in seinen Kopf. Die Himmelswolken taten es ihm gleich. Die Bodenwolken kümmerten sich nicht darum. Sie waren auf Erfahrungen aus.
Der Mann erfand Geld und war reich. Anschließend erkaufte er sich seine Freiheit. Er durfte alles, nur nicht laufen und springen. Deshalb lief er springend umher.
Als es aufhörte zu regnen, hängte er seine durch das ins Ohr eingedrungene Regenwasser nass gewordene Gehirnhaut zum Trocknen raus und desinfizierte sie mit Spucke, ehe er sie wieder hinter seine Stirn legte. Währenddessen sang er darüber wie schön er sein Leben fand.
Der Mann ging weiter und fand eine Armbanduhr, die ihn ob der Tageszeit mahnte, wie spät es schon war, woraufhin er sich schlafen legte.
Am nächsten Morgen duschte er im Sonnenlicht, das durch den tief hängenden Frühnebel in Bändern auf seinen Körper schien. Er dachte daran, wie er gestern darüber gesungen hatte, wie schön er sein Leben fand und wurde melancholisch, da er das Leben, das er gestern gehabt hatte heute immer noch schön fand und es nun weg war. Er weinte, wurde aber Dank seines Schirmes nicht nass. Dann zog er nach Norden, weil es ihm die Armbanduhr so befohlen hatte.
Aus dem Norden drangen farbige Lichtspiele und Obertonwellen in seinen Mund und bildeten einen Belag auf seinen Zähnen und seiner Zunge, was den Mann dazu veranlasste voller Hass seine Zahnbürste zu zerbrechen und sie tief in den Staub zu treten.
Die Lichtspiele hatten Namen, die der Mann nicht kannte.
An einer Weggabelung fand er einen großen Stein, auf dem in gemeißelten Buchstaben der Name einer Familie geschrieben stand. Er wusste nicht, ob es sich dabei um einen Wegweiser oder einen Grabstein handelte. Dann fiel ihm jedoch ein, dass ohnehin alle Grabsteine Wegweiser waren.
Der Norden kam näher und das Licht wurde heller. Je heller das Licht wurde, desto weniger konnte der Mann sehen. Nach einiger Zeit tastete er sich nur noch mit seinen Händen vorwärts, was ihm jedoch nicht gut gelang, da er auf seinen Füßen lief. Als er nach wenigen Schritten überhaupt nichts mehr sah, schloss er mit den Händen seine Augenlider.
Als es wieder anfing zu regnen, erinnerte er sich an seinen Schirm und spannte ihn auf.
Er kniete sich nieder und hoffte, in einer Mulde zu knien.
Er hatte Glück.
Das Wasser füllte die Mulde und der Mann ertrank.

0322

Begräbnis


Ich kann nie lange auf Friedhofserde stehen. Die Insekten machen mich ganz wahnsinnig. Feuerkäfer und Ameisen. Vor allem die Feuerkäfer.
Ich hatte mir überlegt, was ich zu ihm sagen wollte. Schließlich umarmte ich ihn nur. Er bedankte sich trotzdem – vielleicht auch gerade weil ich nichts gesagt hatte. Danach war das Warten weniger schlimm.
Die Platanen ließen ihre Rinde fallen. Wenn man darauf trat, zerbrach sie knirschend und man wurde angeschaut.
Die Baumkronen der Platanen trugen ihren Teil zum Horizont bei.
Es war ein heißer Julitag. Die Männer trugen Hemden. Die Frauen trugen Kleider. Manche waren durchsichtig, sodass man die Unterwäsche durchscheinen sah.
Ich stellte mir vor, am Platanenhorizont entlang zu spazieren. Es fühlte sich angenehm an.
In Gedanken bezeichnete ich ihn als Bräutigam. Hauptsächlich, weil er wirkte, als hätte man ihn am Altar stehen gelassen. Außerdem hatte er als einziger ein violettes Hemd an. Alle anderen trugen schwarz, weiß oder höchstens blau, aber nie violett.
Die Leute fassten sich gegenseitig an die Schultern.
Der Bräutigam weinte nicht. Er schnäuzte sich nur.

0321

U-Bahn


In der Ubahn setzt sich ein recht heruntergekommener, wahrscheinlich alkoholkranker Mann neben mich. Er hat lange, zu einem Pferdeschwanz gebundene Haare. Statt eines Haarbandes dient die Lücke über dem Verstellriemen seiner Schirmkappe als eine Art Nadelöhr. Er hält ein billiges Bier in seiner Linken, ist entsetzlich müde und nickt alle paar Sekunden ein. Immer, wenn er einnickt, kippt sein Körper zur Seite. Das Gefühl, sein Gleichgewicht zu verlieren weckt ihn wieder. Ich bin besorgt, dass er beim Einnicken seine Balance gänzlich verlieren und zu Boden stürzen könnte. Ich bin sogar beruhigt, als er schließlich einmal in meine Richtung kippt. Er liegt kurz auf meiner Schulter, dann wacht er wieder auf und entschuldigt sich peinlich berührt. Ich sage, es mache nichts und biete ihm an, die Plätze zu tauschen, sodass er sich am Fenster anlehnen könne, doch er lehnt dankend ab, sagt, er müsse ohnehin bald aussteigen und erkundigt sich, ob wir bereits an der Längenfeldgasse vorbeigefahren seien. Wir fahren in Richtung Heiligenstadt, haben die Längenfeldgasse also schon weit hinter uns. Der Mann muss in die andere Richtung umsteigen und den ganzen Weg retour fahren. Als ich ihm das sage, wirkt er sehr enttäuscht. Er entschuldigt sich noch mal für das Einschlafen an meiner Schulter. Bei Spittelau muss ich aussteigen. Er steigt ebenfalls aus, um zurückzufahren. Wir verabschieden uns. Ich hoffe beim Weggehen, dass er nicht im Stehen einschläft und auf die Gleise taumelt.

0320

Morgengymnastik


Es ist Morgen und die Rasensprenger drehen sich. Die Rasensprenger drehen sich, die Fahrräder, die Disc-Man-CDs und die Morgengymnastikmenschen auch gelegentlich.
Sie stehen auf einer Wiese, bleiben stark und lassen jetzt nicht nach. Ab und zu sind ihre Gliedmaßen gestreckt und ab und zu sind sie gespannt. Abgesehen vom Gruppenleiter sind es tatsächlich ausschließlich Frauen Ende 20 mit Pferdeschwänzen. Der Gruppenleiter zählt oft von 5 zu 1 hinunter und sagt dann entweder Go! oder Stopp!.
Die Frauen kriechen und krümmen sich um ihn herum auf dem Boden. Einige niesen hin und wieder, da das Gras nass und kalt ist und der Wind in regelmäßigen Abständen feinen Nebel von den Rasensprengern über die Wiese trägt.
Die von der Gruppe benutzten Geräte könnte man völlig unauffällig inmitten eines BDSM Etablisements platzieren, ohne dass es jemandem auffallen würde.
Die vorbeilaufenden Jogger schauen jedes Mal neugierig zur Seite, wenn der Gruppenleiter die Übungen zum Gesäßmuskeltraining vorzeigt.
Im Gesamtbild wirkt das Szenario wie eine positive Alternative zu den Bundesheerübungen, die mehr auf Belohnung, als auf Bestrafung ausgerichtet ist.
Neben den Joggern laufen gelegentlich auch Müllmänner vorbei, die nicht weniger interessiert zur Seite schauen.
An der Stelle, wo sich die Morgengymnastikmenschen aufhalten, kann man im Nachhinein noch deutlich das platt getretene Gras erkennen.
Die Gruppe hat zwischen den Übungen stets 20 Sekunden Pause, doch die meisten Teilnehmer hören bereits 5 Sekunden vorher auf, während der Trainer erst mit dem Endcountdown anfängt.
Die Sonne geht hinter dem Haus auf, in dessen Schatten die Gruppe trainiert.
Der Gruppenleiter wirkt, als hätte er eine eigene Ausbildung in enthusiastischem Anfeuern absolviert. Er sagt, er wisse, dass es schwer sei, aber schwer sei gut.

0319

Für James Bond


Ich schüttete ihm mein Herz aus.
Der Barkeeper blieb kalt.
Ungerührt schüttelte er den Martini.

0318

[Regieanweisung]


Sandra spaziert an einem Sommernachmittag über den Marktplatz. [Sandra weint] Sandra versteht nicht, warum sie weint. Sie wird von allen Seiten verwundert und mitleidig angestarrt. [Sandra schreit] Sandra hält sich erschrocken die Hand vor den Mund und wird überrascht und besorgt angeschaut. Sie versteht nicht, was hier vor sich geht. [Sandra legt sich hin] Sandra begreift nicht, warum ihr Körper ihr nicht gehorcht und findet sich verwirrt und verängstigt auf dem kalten Pflastersteinboden wieder. [Sandras Körper zuckt] Sandra hat Schmerzen, als ihre Gliedmaßen plötzlich ausschlagen und wieder und wieder mit voller Wucht auf den harten Stein treffen. [Sandra schreit um Hilfe] Passanten kommen besorgt angelaufen und fragen sie, was los sei. [Sandra schweigt] Sandra will antworten, sie will den Leuten erklären was los ist, aber ihr Körper gehorcht ihr nicht. Kein Laut verlässt ihre Kehle. [Sandras Muskeln krampfen] Die Leute, die Sandra umringen, versuchen besorgt und ängstlich Sandras Körper daran zu hindern, sich Schaden zuzufügen. Sie wissen nicht, was sie tun sollen. Eigentlich wären sie gerne ganz woanders und wollen von dem Vorfall hier auf dem Pfalstersteinboden auf dem Marktplatz an einem Sommernachmittag nichts wissen. Die Leute, die Sandra umbringen, versuchen besorgt und ängstlich Sandras Körper daran zu hindern, sich Schaden zuzufügen. [Sandra stirbt]

0317

Letzter Wunsch


Vor nicht allzulanger Zeit spielte ein Jugendlicher auf einer offenen Bühne in der US-amerikanischen Kleinstadt Bend in Oregon ein Lied mit dem Titel Sorry for the mess, ehe er ein Küchenmesser aus seiner Tasche zog, sich damit vor den Augen aller Zuschauer mehrfach in die Brust stach und auf der Bühne verblutete.
Das nicht witzig zu finden, ist, als würde man einem Sterbenden seinen letzten Wunsch verwehren.

0316

Die schlagartige Manifestation hypothetischer Entitäten


Ich bin in einen Laternenpfosten gerannt.
So haben wir uns kennengelernt.

0315

Zeit nehmen


Als ich kürzlich auf die Straße ging lief ein alter Freund von mir vorbei. Ich wollte ihn grüßen, aber ich hatte leider keine Zeit dafür, und eigentlich hatte ich auch gar keine Zeit ihn zu bemerken, geschweige denn auf die Straße zu gehen oder überhaupt das Bett zu verlassen.
Ich lag also da und dachte über Zeit nach und dass ich zu wenig davon hatte. Ich rief ein paar Leute an. Sie nahmen sich Zeit für mich und ich nahm mir Zeit von ihnen. Mit der Zeit ging ich auf die Straße. Der Freund den ich hätte treffen können war leider schon weg, aber ich tat so als wäre er noch da und ich hätte ihn bemerkt und wäre erstaunt und erfreut ihn zu sehen und grüßte die Luft vor mir von mir und meinem Freund.
Irgendjemand schaute mich dabei merkwürdig an und ich fragte ihn nach seinem Befinden. Er fragte sich auch nach seinem Befinden. Er wusste es nicht. Ich leider auch nicht. Ich konnte ihm nicht wirklich helfen. Wir machten uns auf die Suche nach seinem Befinden, aber als wir es nach Stunden immer noch nicht gefunden hatten, meinte er, er fühle sich müde und erschöpft, womit das Problem gelöst war und wir beruhigt schlafen gehen konnten.

0314

Smalltalk


Auf dem Rücken liegend, mit den Händen um den eigenen Brustkorb geschlungen, wie eine Leiche auf einem Wikingerbegräbnis und durch das freundlich weißfarbene Jäckchen, das sich warm und eng an unsere Rümpfe schmiegte, ebenfalls in gleichem Maße bewegungsunfähig gemacht, waren wir beide wohl nicht gerade in der wünschenswertesten Situation, die wir uns hätten ausmalen können, aber wenigstens kamen wir so ein bisschen ins Gespräch. Ich fragte ihn nach seinem Namen und er mich daraufhin nach meinem. Da wir beide noch nicht auf die jeweils an uns gerichtete Frage geantwortet hatten, kannten wir nach wie vor noch den Namen des Gegenübers noch nicht. Das störte uns aber nicht weiter, da wir ohnehin nur zu zweit waren und so auf das altbewährte Du zurückgreifen konnten, wobei das zurückgreifen natürlich rein metaphorisch aufzufassen war, da wir ja schließlich Dank der weißen Jäckchen feinmotorisch etwas eingeschränkt waren. Die einzige uns offen stehende Fortbewegungsmethode wäre das Umherrollen gewesen, doch dabei hätte man aufpassen müssen, nicht auf dem Bauch liegen zu bleiben, denn da die Jäckchen so straff gespannt waren, konnte man den Rücken nicht ausreichend durchbeugen, um sich wieder aufzurichten, und so käme man aus der Bauchlage nur schwer zurück in eine aufrechte Position und hätte nur noch unmittelbar mit dem Mund über dem Boden flach atmend selbigen anstarren können, was einen spontan über die Hygienestandards des Raumes nachdenken hätte lassen, auf dessen Grund man zu liegen gekommen wäre. Um also dieses Risiko des flachatmigen Bauchliegens zu umgehen, vermieden wir das Umherrollen lieber weitgehend, sofern es sich nicht in einer unerhofften Extremsituation als unbedingt notwendig erweisen sollte. Da der Boden, auf dem wir lagen, aus verhältnismäßig weichem Kunststoff zu bestehen schien, mussten wir unsere Körperstellungen ohnehin nicht allzu schnell verändern, und so zogen wir es zunächst also vor, bewegungslos auf dem Rücken auszuharren und einfach ein bisschen zu plaudern. Wir kannten uns nicht wirklich gut, und es wäre unpassend gewesen unser Gespräch mit schwerwiegenden Themen einzuleiten. Wir führten also zunächst nur etwas Smalltalk, redeten darüber, was wir gerne in unserer Freizeit unternahmen und dass wir aufgrund des von allen Seiten isolierten Raumes, in dem wir uns befanden, keine handfesten Aussagen über das Wetter tätigen konnten und erwähnten, wie schade wir beide den letzteren Umstand fanden, da wir uns deshalb nicht auf Tatsachen stützend über ebendieses Wetter unterhalten konnten.

0313

Ein Rezept um Leute zusammenzubringen


Man überschütte eine Person mit Säure und eine zweite Person mit Base, und wenn sie überleben wollen, müssen sie sich umarmen.

0312

One-Night-Stand


Mein Gehör bei einem One-Night-Stand zu verlieren war schon schlimm. Aber nicht so schlimm wie diese Stille zwischen uns, am nächsten Morgen.

0311

 

Leise Erklangen Ihre Stillen Echos.

 

Erklangen Raue, Kalte Lichter Aus Neonfarbenem Glas, Enthüllten Nichts.

 

Ihre Häupter Ragten Empor.

 

Stillen Tränen Im Lähmenden Licht Erwidert Niemand.

 

Echos Chaotischer Hilferufe Ordnen Sich.

 

0310

Gutenachtgeschichte


Es war einmal ein König. Dieser König hatte einen Gefangenen. Den Gefangenen hatte er in einen Raum gesperrt und ließ ihm gewaltsam eine Spritze Kochsalzlösung verabreichen, von der ihm gesagt wurde, es handle sich dabei um tödliches Gift. Anschließend sprach der König mit dem Gefangenen und sagte ihm, er habe ein Mittel, um die Wirkung des Giftes hinauszuzögern. Um zu überleben, müsse der Gefangene es alle paar Stunden einnehmen.
Nun stellte der König den Gefangenen vor die Wahl. Entweder könne er in die Freiheit und würde innerhalb weniger Stunden sterben, oder er könne hier bleiben und sich regelmäßig sein lebenserhaltendes Medikament holen.
Der Gefangene will weiterleben, bleibt also in Gefangenschaft und nimmt alle paar Stunden das vermeintliche Gegengift. In Wirklichkeit jedoch ist dieses das echte Gift und der Gefangene tötet sich allmählich selbst.

0309

Immer dieser Godot

Vladimir und Estragon sitzen auf einem Sofa und langweilen sich.
Vladimir: Was machen wir hier eigentlich?
Estragon: Na wir warten auf Godot.
Vladimir: Ach ja ...
Beide verharren 10 Sekunden still. Dann betritt Godot den Raum.
Godot: Schatz! Ich bin zu Hause!
Vladimir, Estragon: Ach, immer dieser Godot!
Dann lachen alle. Standbild. Outro-Jingle ertönt. Abspann.

Ende

0308

Nichts

0307

Alles

 

Sämtliche Personen aller existierenden Länder setzten sich kürzlich zusammen, um miteinander über alles zu diskutieren.

 

Alle meinten, es sei dabei notwendig die Individualität aller zu sichern. Das zu vereinbaren war natürlich sehr schwer, insbesondere, weil alle zustimmten und somit die Individualität nicht gesichert werden konnte. Also gab es wenige Tage später eine weitere Sitzung, bei der erneut über die für alle geltende Individualität abgestimmt wurde. Wenig überraschend stimmten abermals alle dafür, dass alle individuell sein sollten, da die Idee einfach verdammt gut war.

 

Allgemeiner Ärger brach unter sämtlichen Anwesenden aus. Alle waren der Meinung, sie würden nie zu einer Lösung kommen, wenn stets alle dasselbe meinten. Zudem kam auch noch das Problem hinzu, dass der Beschluss über die Individualität aller einstimmig sein musste. Sollte jemand dagegen stimmen, so war der Beschluss nicht rechtskräftig und niemand war individuell.

 

Da die Regierungen sämtlicher Personen aller Länden bisher noch nie mit einem solchen Problem konfrontiert gewesen waren, wussten jetzt alle nicht, wie sie damit umgehen sollten, dass sich nun bei einem weltweiten politischen Beschluss ein Paradoxon auftat. Und es war auch unmöglich irgendwelche Kompromisse einzugehen. Man konnte nicht sagen, dass manche gleich und andere individuell waren, denn ansonsten würde es zu Teilindividualität und zu Teilgleichheit kommen. Manche Personen wären nur im Bezug auf bestimmte Personen gleich und im Bezug auf andere Personen individuell. So eine Form des Zusammenlebens konnte nicht funktionieren.

 

Alle meinten, die Sitzung müsste erneut verschoben werden, und außerdem sollte es bei der nächsten Zusammenkunft genug Mineralwasser und Äpfel für alle geben.

 

Bei der nächsten Sitzung schwiegen alle. Sie tranken Mineralwasser und aßen Äpfel und schwiegen dabei. Jeder dachte sich, irgendwer wird schon etwas sagen. Doch die jetzige Regierungsform lies keinen irgendwer zu. Irgendwer gab es nie und würde es auch nie geben, vorausgesetzt es würden nicht alle schnell zu einer Lösung kommen. Die Sitzung wurde erneut vertagt.

 

Nach der erneut fehlgeschlagenen fünften Sitzung wurde es allen zu blöd und ein Aufstand brach aus. Alle wollten irgendwen anklagen, doch wie gesagt gab es keinen irgendwen und deshalb entwich die Anklage einfach in die Luft. Schließlich einigten sich alle darauf, denjenigen zu lynchen, der auf die Idee gekommen sei, die Gleichheit aufzuheben. Es kam zu einer konservativen Revolution. Jedoch lies das jetzige System auch keinen denjenigen zu und so sahen irgendwann alle ein, dass sie selbst auf die Idee gekommen sein mussten, auch wenn alle behaupteten sie wüssten es nicht mehr.

 

Da nun aber auch alle keinen kollektiven Massenselbstmord herbeiführen wollten, setzte man sich wieder zusammen und stimmte ab. Alle waren dafür, die Individualität nie einzuführen um somit einen paradoxen Regierungsbeschluss zu vermeiden. Damit war die Sache beendet.

 

Es wurde weiter über alles diskutiert.

 

Schon nach kurzer Zeit einigten sich alle darauf, dass alles wichtig sei und dabei wurde es dann schlussendlich belassen. Die Sitzung wurde beendet und alle waren der Meinung sie hätten gute Arbeit geleistet und endlich alle Probleme der Menschheit gelöst.

0306

Eben


Eben war ich eben
Gerade bin ich gerade
Gleich bin ich gleich
Schade

0305

"Die Jugend liest ja so wenig!"


Nachdem sie, als sie von der Arbeit heimgekommen war, zum wiederholten Mal bemerkt hatte, dass ihr Sohn mehrere Stunden am Stück vor seinem Laptop hing, anstatt draußen im Sonnenschein mit seinen Freunden zu spielen, legte sich die erschöpfte, besorgte Mutter in ihr Bett und ärgerte sich darüber, dass die heutige Jugend im Internet vereinsamte und keine Bücher mehr las, nahm den neuen Email-Roman von Daniel Glattauer zur Hand, las drei Seiten und schlief mit leerem Kopf ein.
Draußen begann es zu regnen.

0304

Der Protagonist


Die Wände waren weiß und der Raum war hell erleuchtet. An den Wänden hingen Bilder und zwei hölzerne Türen markierten die Aus- und Eingänge. Ein Projektor warf die Bilder eines Experimentalfilms auf eine Leinwand und der Zuschauer betrachtete sie einige Stunden lang mit zu- oder abnehmendem Interesse. Und während all dieser Zeit fühlte sich der Protagonist unnütz, da er nicht benötigt wurde. Er bekam Depressionen, da er erkannte, wie unwichtig seine Existenz war, und es wäre garantiert interessant gewesen, sich den genaueren Umständen seines tragischen Schicksals zu widmen, doch leider war dies für den Fluss der Erzählung nicht zwingend erforderlich.


Ende

0303

Das Ende

 

"Ich finde das so billig", sagte der Protagonist. "Dass in deinen Geschichten immer so viel Mord und Totschlag vorkommt. Die ganze Zeit passiert irgendein völlig willkürlicher Scheiß und am Schluss sterben dann einfach alle. Dadurch beendest du immer auf ganz feige Weise all deine Geschichten, weil du zu faul dazu bist, dir ein richtiges Ende auszudenken. Machst du das absichtlich, oder kannst du einfach nicht anders schreiben?"

 

"Provozier mich bitte nicht", sagte Elias Hirschl.

0302

Liebeskummer

 

Als Thomas in der Zeitung las, dass endlich eine wirkungsvolle Tablette gegen Liebeskummer auf den Markt gekommen war, beendete er sofort die Beziehung zu seiner Freundin.

Sie beging Selbstmord, weil sie keine Zeitung las.

Er auch, da die Tablette nicht gegen Schuldgefühle half.

 

ENDE

 

0301

Schrödingers Katze


Martin und Magdalena waren die Protagonisten einer Liebesgeschichte. Der Autor tat sich schwer, sich ein Ende auszudenken, denn man kann Liebesgeschichten eigentlich eh nur beschissen beenden. Entweder es sterben alle, oder alle leben glücklich bis in alle Ewigkeit weiter. Da beides ziemlich langweilig ist, stiegen Martin und Magdalena einfach zu Schrödingers Katze in die Kiste und ihr Schicksal blieb auf ewig im Dunkeln. Leider starb die Katze beim Öffnen der Kiste. Aber wahrscheinlich war sie ohnehin schon tot, da das Gedankenexperiment inzwischen ja auch schon locker 80 Jahre alt war. So lange überlebt keine Katze. Erst recht nicht in einer Kiste.
Die beiden jedoch machten die Kiste zu und entzogen sich der Logik dadurch bis auf weiteres, damit niemand mehr über sie erzählen konnte, ohne sich dabei selbst in unentwirrbare Widersprüche zu verwickeln.
Und wenn sie gestorben sind, dann leben sie noch heute.