Foto: Luca Maximilian Kunze
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0627

In den Augen kann man sie sehen, die Einsamkeit – am Passieren. Darin sind wir verbunden. Ich müsste darauf vorbereitet sein. Es trifft mich immer sehr überraschend – dieser Blick. Ich weiß, du bist allein. Ich weiß, ich kann nichts daran ändern. Mir bleibt dann alles im Hals stecken – Leben und so. Heute war es so ein älterer Kerl mit dunklen, schwarzen Haaren und Augen – er löffelte im Laufen Eis aus einem Becher und sah kurz auf, sah mich kurz an. Da hast du mir deine Einsamkeit gegeben und etwas älterer Kerl mit dunklen, schwarzen Haaren und Augen in 80er Jahre Poloshirt. Und um ganz eintreten zu können, muss man durch die Oberfläche – also bin ich außen weich und innen hart. Ich bin sehr viele und für jeden eine. Wenn ich nicht ich wäre – aber ich bin es nicht. Ich bin nicht ich. Ich existiere nicht. Das erste Mal passierte es mit der alten Dame am Tisch – ich habe es Henry erzählt:

 

[…]

 

„Als ich noch klein war – “ sagt Norah „keine Ahnung – vielleicht 10 oder so – es war irgendein Geburtstag – vielleicht der von meiner Mutter? Oder meine Großeltern – auf jeden Fall waren ganz viele Verwandte da – alle – wir waren eine riesengroße Gesellschaft in einem Restaurant und es war laut und belebt an unserem Tisch – irgendwann fällt mein Blick auf den Tisch neben an.“ Während sie spricht, umspielen ihre Finger unentwegt die Rillen des schmalen Tisches, ihr Blick liegt tief, ihre Worten kommen nur langsam, etwas träge. „Am Tisch neben uns sitzt eine Frau, alt – 50 vielleicht – keine Ahnung und sie war dick, nein fett, wirklich richtig fett aber vor allem war sie allein und noch im selben Moment gab mir ihre Wahrnehmung Tränen ein – verstehst du? Ich weinte – es machte mich traurig, sie zu sehen – allein! Sie war allein und vor ihr Essen. Es machte mich traurig, einen Menschen zu sehen, der alleine war, der alleine essen musste, wo ich, wo wir doch in dieser Gesellschaft waren.“ Sie hatte im Laufe ihrer Worte die Finger immer tiefer in die Rillen gebohrt. Nach einem kurzen Moment der Stille hebt sie den Kopf, ihr Blick taste nach meinem, krampfig zieht ein Lächeln auf ihre Lippen. „Naja – egal.“ und wieder liegt ihr Blick auf der Tischplatte, auf ihren Fingern schon ganz weiß die Rillen umklammernd. Das sagte sie oft – Naja egal. „Und dann bin ich plötzlich 20 Jahre älter, sitze in Berlin und all meine Freunde sind in Beziehungen, glücklich oder weniger glücklich – egal – und ich habe immer vom Mitsein gelabert aber für jemand anderen Dasein ist nicht möglich, vielleicht geht ein bisschen Mitsein aber auch das ist nie genug – ich sehne mich nach dieser unmöglichen Auflösung in einem anderen Menschen – in dieses tiefe Nichts fallen – aber jede weitere Begegnung nimmt nur ein Stück meiner Seele mit und für mich bleibt diese Kerbe.“ Noch immer gehen ihre Finger durch die Rillen – fuhren langsam über die Lücken. „Und dann sagen sie – du auch – ich sei zu sensibel – ja, vielleicht – aber was ändert das an meinem Gefühl? Was ändert das an diesem Loch? An dieser Einsamkeit – und dann frage ich mich, ist nicht jeder einsam – immer? Aber es funktioniert nicht – egal wie, wir können uns unsere Einsamkeit auch nicht nehmen, nicht gegenseitig – und wie viele habe ich selbst abgewiesen und doch auch mit diesem Wissen – weißt du Henry, manchmal habe ich einfach genug davon. Ich bin es leid, es nicht wert zu sein.“

 

[…]

 

Aber was niemand weiß: Ich existiere nicht. Mich gibt es nicht. Ich habe alle meine Ichs irgendwo verteilt aber mich – mich gibt es nicht. Insofern hat Herr T. recht – ich bin es nicht. Ich bin nicht ich. Oder anders … ich weiß eben immer, wer ich sein sollte. Das ist meine Krankheit.

 

Ich habe noch immer den Riss im Display. Mit Valentin bin ich die Frau für gemütliche Stunden. Serien schauen, Corneflakes futtern, gemeinsam fett werden. Er braucht das – er braucht diese Ruhe, dieses Nichtstun – weil alles andere ist so furchtbar anstrengend. Er behauptet, er mag mich, wie ich bin. Das ist einer dieser Sätze, den ich höre, weil ich ihn selbst gerne sage. Aber es stimmt nie. Vielleicht ist Liebe diesen Satz so zu hören, dass ich ihn glauben kann.

0626

Wo sind die Menschen, die einfach in Züge springen, genau dann, wenn es richtig ist.

 

Zwei Uhr nachts – ich ertrag die Stille nicht, die dann passiert, wenn es nicht mehr weiter geht. Ich kann dir nicht beim Schlafen zu schauen – du bist selig.

 

Ich habe dir zu geschaut. Ein paar Stunden lang hast du an einer Figur geschnitzt – du wolltest, dass ich da bin, dass ich im Raum bin. Du wirst sie deiner Ex-Freundin widmen, die du noch immer liebst und ein paar Wochen nach mir, wenn du das mit mir endlich beendet hast, diesen kleinen Ausfallschritt – ein paar Wochen später werdet ihr wieder ein Paar sein.

 

Das war meine Anwesenheit in deiner Abwesenheit.

 

Ich bin eine Schlampe. Ich schaue dir auf den Arsch, wenn du gehst.

 

Ich ertrag es nicht, mittelmäßig zu sein. Irgendetwas in meinem way-to-untervögeltem Leben muss funktionieren. Arschloch. Meine Besonderheit besteht darin, einem beklopptem Dichter nach dem anderen zu sagen, wie gut sie sind. Hauptsache Selbsthass.

 

Wo sind die Menschen, die einfach in Züge springen, genau dann, wenn es richtig ist.

 

Ich will doch nur diesen Wert haben. Ich will ein Mal diesen Wert haben, es wert sein, für mich in den Zug zu springen.

 

Ich kann nichts. Ich kann keine Liebe. Ich bin wirklich eine dumme Schlampe. Ich kann es nicht aussprechen. Worte. Ich kann die Worte nicht zu meinem Mund bringen, also aus meinem Mund heraus. Aber ich kann gut blasen. Ich bin kein Schriftsteller. Ich bin nichts.

 

Gott ist nicht da.

 

Manchmal bringt es wirklich mehr, wenn die Menschen einfach Nein sagen. Ich hasse dieses Zögern. Geh doch weg.

 

Ich hasse es, wenn du mir nicht antwortest. Ich will dich dann umbringen. Erst dich, dann mich. Wie Kleist.

 

Wenigsten schlafen alle, die mich quälen. Ich quäle den einen oder anderen. Ich bin eine große Qual und ich habe dieses Gefühl verdient.

 

Komm jetzt ins Bett. Können wir wenigsten vögeln, damit ich einen Moment vergesse, wie sehr ich mich hasse.

 

Aber all die Dinge sage ich nur zu mir.

 

Ich kann lange am Boden liegen – das Leben ändert sich nicht. Irgendwann wird das alles zur Gewohnheit.

 

Ich bin dieses wirklich große Stück Scheiße. Ich bekomme nichts hin. Leben. Schrott. Ich schreibe schon wieder Listen.

 

Ich will einfach nur verschwinden. Nur das kann ich auch nicht.

 

Common. Komm zum Punkt. Ich weiß ja selbst nicht, was der Punkt ist. Ich bin einsam. Ich will dieses Gefühl erzählen, dieser großen, langen Einsamkeit, wenn man ungewollt auf dieser Welt ist. Gefangen in einem weichen Körper, der zu viel liebt. Warum. Warum. Es ist sinnlos. Ich bin sinnlos. Du bist vielleicht auch einfach ein Arschloch.

 

Spambericht und Kopfschmerzen – rock n roll. Sie erzählen immer etwas von der Freiheit.

 

Nutzloses Stück.

 

Gott.

0625

Ich ertrage es nicht, vergessen zu werden.

 

Der Nachbar schaut hoch, ich schaue runter, er schaut weg. Es ist Liebe.

 

Aaron behauptet, selbst wenn wir die Fenster öffnen, würden die Mücken in diesem Zwischengelass bleiben, sie würden weder ins Zimmer noch ins Draußen fliegen, sie würden einfach in dieser Nische zwischen den beiden Glasscheiben bleiben. Das ist schön, denke ich aber ich will es nicht aussprechen. „Also soll ich die Fenster lieber geschlossen lassen?“ Im Augenwinkel sehe ich ihn nicken.

 

Ich fahre schon lange im Kreis. Ich fahre so lange im Kreis, bis ich mich beruhigt habe. Bis dieser Gedanke – ich bin hässlich. Ich bin fett. Das ist kindisch. Das sind kindische Gedanken und wertlos. Ich bin wertlos. Ich weiß nicht, worin der Wert eines Menschen besteht – er ist einfach da. Wie bei F. – sein Wert war mir immanent ohne dass ich sagen könnte, worin der genau besteht. Er ist kein besonders guter Mensch oder schöner Mensch – er ist einfach und in mir wertvoll geblieben. Ich will ihn ja hassen für alles – für jede Bewegung nach dem Abbruch. Wie er sich vor mir ekeln muss – so eine grundlose Liebe, so ein grundloser Wert ist grausam.

 

Ich frage Aaron, ob das alles nicht Wahnsinn ist. Er und ich. Und dass er nicht ich ist und ich nicht er ist. Und dass ich diesen Zustand manchmal kaum ertrage, nicht er zu sein. Er sagt, ich denke zu viel. Ich denke, dann fick mich, wenn ich nicht mehr denken soll. Ich will das Fenster öffnen aber Aaron lässt mich nicht. Sein Blick schleift mich am Handgelenk von der einen Seite des Raumes in die andere. Er will alles von mir wissen und was ich erzähle ist viel zu viel.

 

Dieser Ekel. Es ist doch faszinierend, dass man einen Menschen erst lieben kann und dann plötzlich ekele ich mich vor dieser Liebe – oder vor mir selbst. Ich kann diese Liebe dann nicht mehr verstehen.

 

Ich habe den Mücken Namen gegeben. Aaron weiß das nicht. Ihnen allen Namen zu geben, hat etwas Ultimatives. Wenn sie irgendwann sterben, in diesem Zustand dazwischen, könnte ich ihnen kleine Särge bauen – z.B. aus Streichholzschachteln und ich könnte sie namentlich bestatten. Ich würde sie fragen: Erinnerst du dich an den letzten Kuss?

 

Ich weiß es einfach nicht – ich weiß nie, dass es das letzte Mal ist. Vor einigen Wochen, Monaten, Jahren sind wir in meine alte Heimatstadt gefahren – auf ein Konzert. Und ich hatte den ganzen Abend geplant, wollte die alten Kneipen und Clubs abklappern, die meine Jugend getragen hatten. Dieser nervöse Zustand Jugend. Ich bin ja fast nie in meiner alten Heimatstadt – nie, nie, nie. Und schon beim zweiten, dritten Club standen wir vor verschlossenen Türen – es war so Minimalclub … und es gab ihn nicht mehr und ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal dort war und ich hätte nie daran gedacht, dass es das letzte Mal war.

 

Aaron klopft nicht – er tritt gegen mein Bewusstsein. Sein Blick zieht mich am Handgelenk durch den ganzen Raum und weiter. Ich will ihn nicht rein lassen aber seine Stimme ist so schön und berührt mich dort, wo sonst nur mein Körpergefühl sitzt – also zwischen Schlüsselbein und Brustbogen. Er will einen warmen Körper für die Nacht und sein Geruch fehlt mir schon, als er mich noch eng umschlingt. In dieser Nacht bete ich zum ersten Mal. Ich bete, bleib einfach dieser Typ, den ich von Weitem lange angeschaut habe.

 

Ja. Ich will nicht, dass du mich betrittst.

 

Dann denke ich, ich bin die Frau, in die man sich nicht verliebt.

 

Also betritt mich nicht.

 

Die Mücken in ihrem Verfängnis. Bei mir ist es ja anders herum. Ich bin leicht zu definieren und schwer anzuschauen. Ich wusste nicht, dass ich das letzte Mal in Aarons Wohnung bin. Hätte ich es gewusst, hätte ich mich vielleicht anders bewegt. Ich hätte vielleicht noch die ein oder andere Spur hinterlassen – nur damit er mich nicht vergisst. Ich ertrage es nicht, vergessen zu werden. Zumindest hätte ich das Fenster geöffnet.

 

[Ja – ich werde enden. Aaron behauptet, es liege nicht an mir – er sei einfach nicht verliebt. Das Gefühl ist FUCK. Ich habe diesen Satz schon oft gehört. Es ist mir schon sehr normal geworden, nicht diese Frau zu sein, in die man sich verliebt. Ich will das Gespräch jetzt beenden aber er sagt noch ein paar Dinge, die alle sehr nett sind. Ich freue mich über die netten Dinge – aber das Gefühl ist FUCK: Ich bin nicht in dein Herz gefallen.]

0624

Man muss die Dinge stumm aus der Distanz betrachten.

 

Die attraktiveren Frauen klopfen schon an. Lass sie herein. Oder sie dich – das ist einfacher. Du kannst niemanden herein lassen.

 

Die Tür ist zu.

 

Herr T. lehnt am Fenster und raucht eine Zigarette – nur so kann ich ihn mir vorstellen: Als Schatten am Fenster und rauchend. Ich will intelligente Dinge sagen wie: Wir leben nachts weil – dann brauchen wir die Welt nicht. Aber im Kopf klingt das immer so so so so … Und nichts von dem, was ich denke – in der Nacht, nichts von dem ist haltbar in den Tag hinein. Keiner meiner Gedanken ist haltbar, greifbar. Ich sage nichts. Ich schaue mir diese Vorstellung an, ganz ruhig. Ganz ruhig S., ganz ruhig. Man muss die Dinge stumm aus der Distanz betrachten – dich. Ich muss dich stumm aus der Distanz betrachten. Ich muss dich stumm betrachten. Manchmal kann ich nicht aufhören, einen Menschen anzuschauen. Dich. Manchmal kann ich nicht aufhören, dich anzuschauen. Manchmal fehlen mir die Augen – man muss Augen haben, um die Dinge zu sehen. Dich. Man muss Augen haben, um die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind. Usw. – Lippen um zu schmecken usw. Und ich beiße mir auf die Lippe. Ich bin ein Mensch, der sich auf Lippen festbeißt. Ich bin ein Mensch. Das ein oder andere fällt mir schon aus dem Mund, über die Lippen, aus den Händen. Ich bin ein Mensch, der Dinge fallen lässt. Ich bin ein Mensch. Ich bin ein Mensch. Ich bin ein Mensch, der Dinge fallen lässt. Ich bin ein Mensch, der Dinge fallen lässt und alles zerspringt in viele kleine Teile. Ich bin ein Mensch. Und alles zerspringt in viele kleine Teile. Ich zerspringe in viele kleine Teile – aus der Distanz und stumm. Ich. Ich zerfalle in i – c – h. In meiner Vorstellung steht Herr T. noch immer am Fenster, ein Schatten, eine Silhouette – mehr kann ich ohne Brille nicht erkennen. Nur seine Umrisse und die rhythmische Bewegung zu den Lippen hin.

 

Ich drehe den Kopf. Ich sehe … das Dach – einen Balkon irgendwo aber es ist verschwommenes Gelb gegen Braun und Weiß … ich bleibe noch einen Moment liegen – ich versuche die Schärfe auf den Fensterrahmen zu richten aber es funktioniert nicht. Nichts funktioniert ohne Brille. „Und du?“ – „Hm?“ er schaut auf. „Was siehst du morgens als erstes?“ ich stochere in meinem veganen Kuchenstück. Vegane Kuchen fallen immer irgendwie auseinander. Er zuckt kurz mit den Schultern. Später dann stehe ich vor dem Fenster – die Scheiben sind fleckig. Er sagt, er will sich nicht festlegen – in einem Leben passiert so viel. Und Beziehungen entwickeln sich um die Menschen herum. Ich stochere in den Kuchenbrocken. Er schaut kurz auf. „Du bist ganz schön kompliziert.“ sagt er. Das Mädchen mit den kurzen Haaren ist ganz schön kompliziert – denke ich. Das Mädchen mit den kurzen Haaren schaut zurück auf die Flecken. „Wir teilen nichts – verstehst du? Wir teilen nichts – wir teilen weder Wahrnehmung noch Kommunikation – wir gehen immer nur aneinander vorbei – wir sind ins Sein geworfene, aneinander passierende Subjekte.“ Uns er meint alle. Kuchen zum Frühstück, denke ich, veganer Kuchen zum Frühstück passiert auch einfach so und trockene Krümel an meinen Fingern. „Man verliebt sich so schnell in vermeintliche Gemeinsamkeiten – aber eigentlich haben wir nichts gemeinsam – wir suchen nur danach und hören letztlich nicht genug zu. Ich verliebe mich nicht.“ Ich blicke auf. Jeder liebt wie er liebt, denke ich. Mein Herz knackt – Diotima kommt mir in den Sinn. Aber wir begreifen es nicht. Wir sprechen von Wissen – aber nein, wenn man wirklich etwas weiß, ändert sich dann nicht auch – alles andere. „Die ganze Menschheit basiert auf einem naturalistischen Fehlschluss.“ und die Krümel an den Fingern … ich suche nach der Verbindung – nach dem Verbundenen – nach allem. Ich greife nach kleinen Strohhalmen. Ich greife und halte sich fest – in die Haare greifen, sich festhalten. Ich greife und halte fest – nichts will gegriffen, nichts will gehalten werden. Und unsere Verbindung ist ein letzter Griff in Locken – Erinnerung. Nein. Nein…nein. „Vielleicht verliebt man sich auch in das, was der andere in einem auslöst.“ wollte ich sagen mit trockenen Brocken im Hals – mit alten Krümeln an den Fingern – mit Flecken auf der Scheibe, Verschwommenes. Ich ziehe die Zehen zusammen. Ich schaue dich an. Wenn man in dem Anderen sich selbst nicht mehr sehen muss, denke ich – wenn man den Anderen ohne sich sehen kann – durch sich aber…Flecken…Glas. Aber so wirklich ist nichts passiert.

0623

Das bspw. ist Liebe.

 

M.: Ich bin gar nicht wirklich unglücklich.

 

M.: Mir ist alles so egal.

 

S.: Das stimmt nicht. Dir ist nicht alles egal.

 

M.: Aha

 

S.: Ich bin dir nicht egal.

 

M.: Nein, Du bist mir nicht egal.

 

Du schläfst gerne allein. Auf deinen ganz eigenen neunzig Zentimetern genormter Schaumstoff mit innovativer Schnitttechnik. Aber du weißt, dass ich deinen Arm brauche zum Einschlafen. Ich brauche deinen Arm um meine Schulter und deine Hand unterhalb meiner Pobacke – das hält mich. Also legst du deinen Arm um meine Schulter und deine Hand unterhalb meiner Pobacke und dann wartest du, bis ich eingeschlafen bin. Ich schlafe dann schnell ein. Du wartest, manchmal streichelst du mir den Rücken oder den Arsch ganz sanft und irgendwann, wenn mein Atem ruhig ist, ziehst du deine Arme langsam zurück, drehst dich auf deine neunzig Zentimeter genormter Schaumstoff mit innovativer Schnitttechnik und schläfst alleine ein. Rücken an Rücken. Meistens wache ich davon auf, wenn du deine Arme langsam zurückziehst – aber nur leicht. Das bspw. ist Liebe.

 

Abschiedsbrief 07.04.2015

 

Ich muss an Ranjo denken. Wir waren 16 und ein bisschen verliebt und nachts hat er mir SMS geschrieben – es ging ihm nie gut. Nachts war er traurig, einsam und so – das Übliche. Er hat mir SMS geschrieben von seiner Trauer, Einsamkeit und ich habe brav geantwortet. Ich wollte, dass es ihm gut geht, ich wollte, dass er nicht alleine ist – es ist das Schlimmste, alleine zu sein. Für mich ist es das Schlimmste, alleine zu sein. Nur – für alle anderen ist es schlimm, wenn es mir schlecht geht. Wenn ich mich hasse, das ist schlimm für alle anderen, weil sie mich lieben – nicht alle aber einige und dann fällt es schwer, da zu sein – es ist dann sehr schlimm. Oder Ranjo, für mich war es schlimm, dass es ihm jede Nacht schlecht ging. Ich habe ihm dennoch geantwortet, egal wie schlimm es für mich war. Schlimmer war für mich die Vorstellung, er wäre allein. Er schrieb: Ich will mich umbringen. Begleitest du mich in den Wald und wartest, bis ich tot bin? Hältst du meine Hand? Er wollte also … dass ich ihm beim Sterben beistehe.

 

Zuschauen. Er wollte, dass ich zuschaue. Was soll ich dort im Wald tun? Soll mit ihm in den Wald gehen und dann schneidet er sich die Pulsadern auf – oder ich, ich schneide ihm die Pulsadern auf und dann schaue ich dabei zu, wie ihm langsam das Blut aus den Armen fließt? Oder schnell – es fließt sicher ganz schnell, weil das Herz noch pumpt – wie lange pumpt das Herz noch, wenn das Blut aus den Adern fließt?

 

Ist das also der Tod? Der Abschied? Ich lasse alle anderen dabei zuschauen, wie ich mir die Adern aufschneide? Warum? Ist das mein Tod? Aber Ranjo hat recht … der Tod ist wirklich das Einsamste, was uns passieren kann – also mir und ihm. Im Tod bin ich wirklich alleine. Das Alleinsein vorher – das ist die Übung an den Tod. Aber jetzt – jetzt bin ich wirklich alleine und hier sind nur die Worte und es sollen meine letzten sein?

 

Meine letzten Worte gehen an Ranjo, der mich nach sechs langen Teenagermonaten für ein anderes Mädchen verlassen hat, obgleich ich ihm jede Nacht geantwortet hatte. Das ist heute natürlich nicht mehr schlimm. Ich muss ja nur an ihn denken, weil er damals nicht alleine sein wollte und ich es jetzt aber verstehe – ich verstehe diese Bitte. Ich will auch nicht alleine sein – also schreibe ich: Ich will nicht alleine sein.

0622

Damit ich so tun kann, als wäre ich ein Mensch, der ein Leben hat.

 

Plötzlich kommt mir die Straße in den Sinn, die wir damals gefahren sind zwischen deinem Heimatdorf und dem anderen Dorf – ich weiß nicht mehr, warum wir immer diese Straße gefahren sind – vielleicht war es auch nur der Weg vom Bahnhof. Mir kommt diese Straße in den Sinn mit der etwas harten Kurve und ich hatte immer dieses Gefühl, diese Erinnerung – es ist mehr eine Erinnerung als ein Gefühl, es müsste sehr gefährlich sein, hier zu fahren, diese Straße entlang zwischen den Dörfern, diese Kurve müsste gefährlich sein – ich hatte immer diese Phantasie, wir wären damals zu schnell gefahren, in die Kurve zu schnell, aus der Kurve zu schnell und es hätte uns in den Graben geschleudert und wir wären zusammen gestorben.

 

Ja, Flo – oder Florian oder F. oder Flojan (wie ich dich immer genannt habe und du hast es gehasst, wenn ich nicht jeden Buchstaben für sich ausgesprochen habe). Ja, F. – wir wären damals gestorben. Und man hätte uns gemeinsam begraben.

 

Oder M. oder T. oder Valentin oder Marlon. Wir wären zusammen gestorben. Aber so nicht. So stirbt jeder für sich allein.

  

Ich flehe dich an, sei nicht so – bitte! Weis mich jetzt nicht von dir. Usw. Floskeln.

 

Ein komplett leerer Doppeldeckerzug rauscht an mir vorbei. Ich könnte jetzt Sinnbild darüber schreiben – oder besser noch: Leben. Ich könnte eine Metapher daraus machen. Aber es ist nur ein komplett leerer Doppeldeckerzug mitten in der Nacht.

 

Ich habe mich mal in einen Typen verliebt, weil – und tatsächlich nur deswegen – er ein Schild an seiner eigenen Waschmaschine angebracht hat mit der Aufschrift Defekt – damit er nicht vergisst, dass sie kaputt ist.

 

Der Abschiedstanz beginnt mit dem immer gleichen Satz in seinen unzähligen Variationen: Du wirst immer eine wichtige Person für mich sein.

 

Aber das stimmt nicht. Man trennt sich und dann vergisst man sich.

 

Manchmal finde ich es absurd, dass T. wahrscheinlich der Mensch in meinem Leben sein wird, mit dem ich am längsten Kontakt gehalten habe.

 

Ich würde mich gerne umbringen. Ich kann es nicht aber ich will es so unbedingt. Ich will einfach nicht mehr leben. Ich verstehe dieses Leben nicht, ich verstehe mich nicht. Ich kotze jede scheiß Nacht meine Seele aus dem Leib, weil ich dieses grausame Leben nicht verstehe. Ich weiß nicht, warum ich mich selbst so sehr hasse. Es ist einfach da. Es kommt von ganz tief drinnen und es macht mir dieses starke Bedürfnis, mich ein Mal komplett umstülpen zu müsse, nur um zu wissen, ob da irgendwo vielleicht doch ein Mensch ist. Es ist einfach da und dann versuche ich, es auszukotzen aber dann in der nächsten Nacht ist es wieder da und dann wieder und dann wieder und dann wieder. Und mein Leben ist nur Schein. Es ist ein Abbild dessen, wie ich mir ein Leben vorstelle – Dinge tun, Menschen treffen, sich beschäftigen so lange es hell ist. Aber ich lebe nicht. Ich bin das nicht. Das ist eine Vorstellung, ein Abbild von mir, eine Rolle, die ich nach Außen spiele. Damit niemand sieht, wer ich wirklich bin. Denn ich bin dieses kotzende Mädchen und mehr nicht. Ich bin dieser Mensch, der kein Mensch ist, weil mein Wesen ist einzig und allein Selbsthass und das ist kein Mensch, das ist kein Leben. Und ich bin so krank, dass ich diese Worte, die ich gerade geschrieben habe, jetzt nicht so stehen lassen kann – sondern ich muss sie nehmen und daraus Literatur machen. Das ist mein erster Impuls. Damit sie ihre Macht über mich verlieren. Damit ich zurück kann hinter die Maske und tagsüber so tun kann, als wäre alles okay und als wäre ich ein Mensch, der ein Leben hat.

0621

Du sagst: Wie verschlossen und verschossen wir in unsere Ichs sind.

 

Natürlich hasst M. mich. Ich habe Schluss gemacht. Und zwar aus einem sehr lächerlichen Grund. Aus einem Scheingrund. Er hat nicht geantwortet – was nichts Neues ist, auch ein wenig um mich zu quälen oder weil er einfach eingeschlafen ist. Aber ich habe das zum Anlass genommen, ihm einzureden, er sei ein schlechter Mensch um einen legitimen Grund zu haben, ihn zu verlassen. Eigentlich verlasse ich ihn – einfach so. Wir verlassen uns, weil es aus irgendeinem Grund nicht ausreicht.

 

„Nichts von dem, was du sagst in meiner Abwesenheit, wenn du sprichst im Schlaf, ergibt einen Sinn – und das macht mir Angst. Und vor allem: Ich komme nicht vor, ich komme nie vor in dieser Abwesenheit, in diesem, in diesem Leben ohne mich, komplett – etwas anderes, etwas, das du bist ohne mich, was ist das? Was lebst du da? Was lebst du ohne mich? Was passiert ohne mich?“

 

Nachts bin ich immer so unglaublich allein. Nachts im Traum bin ich immer so unglaublich allein. Und es ist nur wahr, es ist nur passiert, wenn du ein Foto davon postest. Und es ist nur wahr, es ist nur passiert, wenn du ein Foto davon … weil niemand weiß, dass es uns je gegeben hat.

 

Aber eigentlich will ich nichts hören.

 

Ich sage immer: Ja, du kannst mit mir über alles sprechen. Aber eigentlich will ich nichts hören, was nicht meine Stimme ist. Und meine Stimme ist dunkel und monoton. Ich sage: Ja, du kannst mir alles sagen. Aber eigentlich will ich nichts hören, was nicht Ich bin. Und ich bin. Und ich bin – dein Mund. Du sagt, er ist schön, er ist voll – so voller Worte und ich sage, er ist zum Küssen da, nicht zum Sprechen – und ich verbiete dir deinen Kussmund, ich verbiete dir jedes Wort darin, was nicht Ich bin. Und ich bin. Und ich bin – deine Worte. Deine Worte sind so langgezogen und so langweilig, wenn sie nicht Ich sind. Deine Worte, deine Worte sind so zäh, wie das Sperma, das ich schlucken soll, wenn ich mich hingebe – so zäh und ohne Geschmack. So zäh und ohne Ziel, wenn es nicht Ich bin.

 

Du sagst immer: Ja, du kannst mit mir über alles sprechen. Aber eigentlich willst du nichts hören, was nicht deine Stimme ist. Und deine Stimme ist irgendwie und monoton. Du sagst: Ja, du kannst mir alles sagen. Aber eigentlich willst du nichts hören, was nicht du bist. Und du bist. Und du bist – mein Mund. Ich sage, er ist schön, er ist voll – so voller Worte und du sagst, er ist zum Küssen da, nicht zum Sprechen – und du verbietest mir meinen Kussmund, du verbietest mir jedes Wort darin, was nicht du bist. Und du bist. Und du bist – meine Worte. Meine Worte sind so langgezogen und so langweilig, wenn sie nicht du sind. Meine Worte, meine Worte sind so zäh, wie das Sperma, das du schlucken sollst, wenn du dich hingibst – so zäh und ohne Geschmack. So zäh und ohne Ziel, wenn es nicht du bist.

0620

Es muss doch etwas passieren.

 

Ich stehe am Bahnhof oder im Regen oder auf einer Brücke oder an einem anderen Ort, der veranschaulichen soll, dass sich in meinem Leben oder in mir etwas verändert oder verändert hat – ich stehe also in einer Metapher. Schon mal darüber nachgedacht wie man mit einem Jumpsuit, T-Shit und Pulli drüber auf die Toilette geht? Tja, ich auch nicht. Ich stehe also in der Toilette und mir wird bewusst, dass ich so ziemlich alles ausziehen muss, nur um pinkeln zu können – ich muss also alles ausziehen. Alles. Ich muss alles ausziehen – Stück für Stück, mit entkleiden, nackt sein. Der ein oder andere verliebt sich in mich, die meisten wissen, sie finden noch etwas besseres. In meiner Strumpfhose hat sich eine Laufmasche gebildet: Am Scheideweg, denke ich. Da ist ja die Metapher – eine Laufmasche und M. sagt, er fände Laufmaschen sexy – da sähe man, wie hart Frauen arbeiten bla bla. Es läuft Radiohead. M. steht eine Weile im Raum und sagt dann: Die Musik ist kaputt.

 

Es muss doch irgendwas passieren. Es muss doch irgendetwas passiert sein. Ich aktualisiere. Es passieren doch Dinge. Es muss doch irgendetwas passieren. Passieren.

  

Zum ersten Mal passiert bin ich am 23. Juli 1985 um 21:10 im Kreiskrankenhaus Temeschburg Rumänien. Meine Mutter, die mich hat aus Versehen passieren lassen, wäre bei diesem Vorgang fast ums Leben gekommen, da der Arzt, den mein Großvater zwecks meines baldigen Passierens vorsorglich bestochen hatte, schnellst möglich in den Urlaub passieren wollte. Einige Unachtsamkeiten hätten das endgültige Passierens meiner Mutter aus dieser Welt heraus bedeuten können – dem war nicht so. Glück passiert. Wenige Monate später – sie hatten die Entscheidung schon weit vor meinem Passieren getroffen – passierten sie die Grenzen des Sozialismus in Richtung gelobtes Land: Israel. Usw. Wegmarken meiner Existenz, wenn ich mein Passieren in dieser Welt verorten muss.

 

Passieren. Es muss doch etwas passieren. Dinge passieren. Menschen. Ich passiere. Jetzt. Ich passiere, wenn ich hier oben auf der Bühne stehe, ins Licht geworfen und mit Glitzer besprüht. Ich passiere, wenn ich auf Aktualisieren drücke – refreshing the page.

 

Ich passiere, wenn ich so – von einer Seite der Bühne zu anderen schreite, ein bisschen nervös. Nervöses Passieren. Ich passiere, wenn du mich anschaust. Ich passiere, wenn du mich liest. Ich passiere als Immatrikulationsbescheinigung der Universität Heidelberg, als Steueridentifikationsnummer ID14589572039, als Wohnort Wilhelmshavenerstraße 41, 10551 Berlin, als Sarah Berger aka. @milch_honig, als ich kaufe nicht bei H&M ein, weil die Sachen durch Kinderhände passieren, als Frage meines Vaters ob ich jetzt als ein Hipster Berlin passiere, als Abschiedsbrief 13.04.2015, als ja klar kannst du dich an meiner Schulter ausheulen und dann mit meiner besten Freundin vögeln, ich passiere als Idee, als Vorstellung, als Raum, als Opfer, als Zustand, als Melodie, als Milchmädchenrechnung … Ich bin eine Floskel – ein Zeichen – eine Schublade. Ich bin ein Gegenstand. In bin eine Form gepresst auf Fläche. Ich bin Zeit. Ich bin diese Linie gezogen durch Zeit und ausgefranst. Ich bin vergangen.

 

„Da war es wieder.“ – „Hm?“ – „Da war es wieder.“ – „Was?“ – „Das Geräusch.“ – „Welches Geräusch?“ – „Mein Herz, ich glaube, es ist mein Herz.“

 

Ich aktualisiere. Ich passiere. All das sind Dinge meines Passierens. Tut mir leid, ich bin wie ich bin, das ist alles. Der Schreibraum wird eng, wenn ich ihn nur über das Ich passiere. Kaum mehr passiert etwas über einen allwissenden Erzähler – eine Figur, die überall gleichzeitig passieren konnte, die sowohl das Geschehen selbst als auch die diversen Ichs und Dus zu durchdringen wusste, deren Innenraum selbst aber kaum zu passieren ist. Das Ich ist immer mehr in den Mittelpunkt des Erzählens gerückt – ein „kleiner“ Schreibraum der zugleich den Innenraum des Erzählten selbst absteckt. Für das Passieren bedeutetet das, das nunmehr alles durch das Ich passiert und irgendwie alles, was Nicht-Ich ist, ein Problem darstellt.

 

„Du liebst mich?“ – „Ja.“ – „Tust du?“ – „Ja.“ – „Wirklich?“ – „Ja.“ – „Sag es.“ – „Was?“ – „Dass du mich liebst.“ – „Hab ich doch.“ – „Nein.“ – „Natürlich habe ich.“ – „Nein! Hast du nicht, ich habe dich gefragt und du hast ja gesagt. Aber du hast es nicht gesagt.“

0619

Also Ich – ich kann mich nicht sehen.

 

»Jetzt lehn dich nicht zu weit aus dem Fenster!«

 

»Ich liebe Fenster!«

 

Oft werde ich für arrogant gehalten oder einfach introvertiert – aber auch für cool. Ich habe Angst davor. Ich habe Angst vor Menschen. Ich habe Angst vor Berührung. Ich habe Angst. Ich schließe meine Türen ab – ich schalte mein Handy aus – ich bete, dass mich niemand anruft – ich will alleine sein. Aber wenn dann wirklich niemand klingelt, wenn niemand anruft, frage ich mich, warum ich so alleine bin – warum niemand da ist, der anruft, der klingelt. Ich bin allein. Es klingelt nicht. Niemand ruft an. Die Vorhänge sind zugezogen, kein Licht kommt in den Raum – ich weiß nicht, ob es Tag ist oder Nacht – es ist einfach – es ist Zeit und niemand ruft an, niemand klingelt, niemand weiß, wo ich wohne, niemand sieht, dass ich zuhause bin. Ich bin niemand.

 

Ich glaube, ich bin ein netter Mensch. Seltsame Frage – der erste Eindruck ist wahrscheinlich reserviert – Reserviertheit – mit der Zeit wird es dann wärmer – ich komme eigentlich mit fast jedem gut klar.

 

Ich werde häufig falsch eingeschätzt – ich bin dann eher erstaunt, verdutzt aber weniger gekränkt.

 

Ich habe dieses Bild von mir, dass ich gut alleine klar komme, dass ich gut alleine sein kann, dass ich gerne alleine bin – und eigentlich ist das auch so. Ich bin allein – ich lebe allein, mit meiner Einrichtung, nach meinem Sauberkeitsempfinden und mit schönen Möbeln – ich habe dieses Bild von mir, dass es gut so ist, dass es super so ist – dass es so ist, dass ich gerne alleine bin. Aber manchmal weiß ich nicht, ob dieses Bild wirklich von Innen kommt. Manchmal weiß ich nicht, ob ich das bin – ob ich dieser Mensch bin, der alleine ist oder ob ich einfach alleine bin – ob eben niemand mit mir zusammen sein will, zusammen leben will – mich in seinem Leben haben will. Ob mein Leben dann nicht doch von Außen bestimmt ist.

 

Ich bin eher ein ruhiger Mensch, zurückhaltend – introvertiert vielleicht – aber eigentlich nicht, brauche Zeit.

 

Äußerungen, Bewegungen – darüber denke ich oft nach – wie wirkt das, welche Reaktionen bekomme ich darauf – es passiert oft, dass sich eine Schublade öffnet – das sind vielleicht auch nicht die Menschen, mit denen ich befreundet bin aber man will auch so nicht in irgendwelchen Schubladen oder Kategorien stecken – nur weil man eine bestimmte Handbewegung vollzogen hat oder die Stimme ein Stück zu hoch war.

 

Es gibt immer ein Außen, es gibt Erwartungen – es gibt bestimmte Kategorien und ich weiß, wenn ich mich selbst darin bewege, ändere ich nichts daran – es führt nur dazu, dass diese Kategorien aufrecht erhalten bleiben – also sie bleiben und sie sind mir wie Grenzen, an denen ich mich orientieren kann – aber es sind auch Grenzen und Teile meines Ichs bleiben daran hängen, kommen irgendwie zum erliegen. Es immer so ein Drahtseilakt zwischen mir und dem, was erwartet wird – oder eben dem, wie es ist – wie es normal ist.

 

Ich bin ein Leser. Ich bin ein Mensch der schwierige Entscheidungen vermeidet

 

Keine Ahnung, wie ich nach Außen wirke, aber es ist bestimmt falsch.

 

Ich sehe oft Leere, die meine Begegnung in anderen hinterlässt. Das Ich ist eine Konstruktion – man ist eine Konstruktion. Man ist eine diffuse Masse aus dem, was man ist, was man sein will, was man glaubt zu sein, was man glaubt in Anderen auszulösen – aber das sind viele Schritte zur Selbstinszenierung – wir inszenieren uns den ganzen Tag – ich bin eine Inszenierung dessen, was ich gerne wäre. Also bin ich es nicht. Aber wir sind es nie.

 

Also ich.

 

Ich denke ich bin ein vielseitiger Mensch, der kontinuierlich an sich arbeitet. Ich werde als angenehme, ruhige, lockere Person wahrgenommen und komme generell gut mit Menschen klar.

 

Ich habe Angst davor, meine Ängste nicht besiegen zu können und auch davor, ein Versager zu sein.

 

Es ist mir unangenehm, andere Menschen zu enttäuschen – oder dieses Gefühl eben der Enttäuschung, wenn man etwas nicht geschafft hat – ein Ziel nicht erreicht hat und dann steht man vor seinen Freunden als Versager da. Wenn man Träume hat oder ein Ziel und man erreicht es nicht – wenn meine Freunde dass dann mit bekommen und auf mich herunter schauen und genau wissen, ich habs nicht geschafft, ich habs nicht hin bekommen – ich bin ein totaler Looser.

 

Ich. Also ich. Ich sehe mich nicht.

0618

Es geht immer um den Anderen. Der Andere ist die Subjektivierung der eigenen Unzulänglichkeit.

 

Heute Nacht habe ich das erste Mal von ihm geträumt. Mein Lyrisches-Ich war auch da – wir liefen lange. Ihr Blick war ein wenig kritischer als der Meine. Irgendwann musste ich sie weg schicken – ein Mal – nur ein einziges Mal will ich alleine entscheiden. Wir liefen zwischen Korn und ich konnte von ihm immer nur eine Seite sehen – entweder die eine, oder die andere – aber immer nur Seiten. Wie liefen von Mitte bis zum Treptower Park und er meinte dann, so viel war er schon lange nicht mehr gelaufen.

 

Es geht immer um den Anderen. Der Andere ist die Subjektivierung der eigenen Unzulänglichkeit. Du lachst. Ja – immer. Du lachst – wirklich? Du lachst? Ernsthaft – hör auf mich zu nerven. Also nah sein? Komm mir nahe, aber bleib da drüben, also bleib da aber komm her, komm zu mir, aber nicht so, nicht so nah, also bleib da, dass ich dich sehen kann aber nicht zu nah – also komm her, komm zu mir, bleib bei mir, komm mir nahe aber – aber nicht so, nicht so, also bleib so, bleib so – also geh, aber nicht zu weit, bleib so, dass ich dich nicht sehen muss aber weiß, dass du da bist….nimm mich in den Arm aber fass mich nicht an – also fass mich nicht an – wirklich jetzt – und jede Berührung ist, einfach alles spüren und plötzlich wird der Andere ganz real – also als Anderes, als Fremdes, Nicht-ich. Fremd. Fremder – es ist seltsam, dass alles einer fremden Person zu erzählen.

 

Irgendwo dazwischen sind Menschen – ich stelle mir Menschen vor. Ich spüre das Rauschen – das Gehäuf. Aber irgendwo dazwischen sind Menschen – echte Menschen. Irgendwo dazwischen sind Sätze – und in mir sind es alles Linien – kreuz und quer – auch Grenzen. Nur die Stille – die Stille ist wie kleine Nadelstiche. Und alle sagen, sie fänden die Stille am Besten. Ich sehe nur Linien. Und es ist, wie ganz nahe ran gehen – als wäre ich nahe ran gegangen – einen Augenblick sezieren, auseinander nehmen – einen Menschen sezieren – sich selbst auseinander nehmen, beobachten in Worten. Worte in Linien auflösen. Auflösung des Subjekts in seine pulsierende Körperlichkeit. Irgendwo ist da dann ein Ich – und ich will es streicheln, ich will es in den Arm nehmen. Ich streichle dann meinen Arm, drücke ihn gegen meine Schulter – ich bin ja noch da.

 

Sie sagt, ich werde alleine bleiben. Einsamkeit sind viele Linien – und der Schrei. Irgendwas ist immer alleine – ein Teil. Dieser angenehme Ekel um die eigene Existenz. Mehr Körper sein also – es ist eben auch nur eine Hülle, die oberste Schicht. Und ich will es betäuben – ich will diese obere Schicht betäuben – weg damit, weg mit der Hülle und mir ganz nah sein – so innen drin ganz nah sein, also innere Werte und der innerste Wert ist irgendwo da unten. Also innerer Wert – Habitat – Raum – mein Raum – zu Hause sein, zu Hause bleiben – die Türe – verschlossen. Für immer verschwinden – du bist nicht unsichtbar – du existierst einfach nicht.

 

Ich sitze hier – all das spielt in einem anderen Zimmer. Er steht am Fenster – dreht sich Zigaretten. Es ist immer die selbe Bewegung. Fenster. Zigarette. Du bist immer die selbe Bewegung, denkt ich. Du bist immer die selbe Bewegung zwischen Fenster und Du – von den Fingerspitzen an die Lippen wie Worte. Ich kann mir einbilden, dass Distanz Nähe bedeutet. Ich kann mir einbilden, dass Schweigen ein Zuspruch ist. Ich sitze hier – all das spielt in einem anderen Zimmer. Er steht am Fenster – dreht sich Zigaretten.

 

Ich bin eine Floskel – ein Zeichen – eine Schublade. Ich bin ein Gegenstand. In bin eine Form gepresst auf Fläche. Ich bin Zeit. Ich bin diese Linie gezogen durch Zeit und ausgefranst. Ich bin vergangen.

 

Das Geräusch von Haut – ein Gleiten am Zerfall – immer am Zerbrechen. Ich höre Haut gegen Luft, gegen Atem – gegen Holzdielen. Ich höre Haut sich langsam heben, mit jeder Berührung langsam heben – ein Abblättern, erodierte Partikel. Ich höre das Echo in den Kuhlen das Schlüsselbein entlang und am Rand der Schluchten – irgendwo zwischen Achselhöhle und Brustbein – alles ist beharrliches Vergehen an die Welt. Ich höre den flüchtigen Spann, Schultern und ihr Zusammenfahren. Ich höre Haut gegen Haut – es rauscht.

 

Zittern – das Sein vibriert an seine oberste Schicht – im Losgelösten begriffen – und die Sphären driften auseinander. Zwanzig Blicke mustern mich – zwanzig oder hundert oder einer – zusammengekniffene Augen und viel Nichtwissen. Worte sind dann, sich entkleiden und Jahre blättern von mir ab – Jahre und ein Zittern – aber da ist auch nichts mehr, was ich noch verbergen könnte – da ist auch nichts mehr in mir.

 

[Geräusche ploppen auf – ein Gesprächsfetzen – ein Gesicht – Gefühl – Stimmung – Zukunft – Geschichte – innere Verfassung – Spiegel – Selbstwahrnehmung – Summe – der Sound der Straße – U-Bahn – laut – es wird unheimlich laut – es ist nur die U-Bahn – der Puls geht hoch – Zittern – sie beobachten mich – krank – sie denken, ich sei krank – Zukunft – da ist eine Zukunft – ein Bedürfnis – ein Verlangen – eine Geschichte – laut – es sind nur die Reifen auf dem Kopfsteinpflaster – laut – laut – und das Licht ist grell – blendet – es ist nur die Straßenlaterne aber meine Augen schmerzen – Schritte – Hast – Nervosität – irgendwas ist aufgewühlt – da war ein Streit – Blut – ich spüre das Blut in meinen Fingern – ich höre das Rauschen – es rauscht durch den Körper – ich spüre die Sehnen – Konzentration auf Text aber da ist wieder ein Gespräch – Stimme – nur Klang – Problem – da ist irgendwo ein Problem – irgendwas liegt in der Luft – Schwingung – gelb ist immer irgendwas schlechtes – gleich passiert etwas schlechtes – irgendwas wie Streit – kalt – selbst in der U-Bahn noch eisige Kälte – die Handschuhe sind nutzlos – für einen kurzen Moment die Vorstellung, sich nicht bewegen zu können – Herzrasen]

 

Das Fremde – dann nehme ich einen Löffel in die Hand oder irgendetwas anderes und unendlich lange bleibt die Bewegung wie sie ist – aber sie ist nicht mehr. Das Dasein pocht gegen den Körper – und jeder dieser Orte ist irgendwo da Draußen, langsam verschoben, weit weg. Und jedes Du ist irgendwo da Draußen, langsam verschoben, weit weg. Und sie sagt, der Körper sei nur eine obere Hülle aber was meint nur – was meint sie, wenn jedes darunter einer Oberfläche bedarf – wenn jedes Rühren an diese Fläche alles durcheinander wirft – wirft, werfen, geworfen und wir, ich, du – wir sind ins Dasein geworfen – man. Wir sind in Körper geworfen und Seele – in ein zitterndes Etwas geworfen und Vorgeführte – der Welt Vorgeführte.

 

Die Grenze zwischen Menschen ist das Mensch-sein. Manche Menschen sind nur in Worten greifbar. Langes Schweigen.

 

Ich wollte niemals Mensch sein. Figur reicht völlig.

0617

Ich habe Angst vor Gott.

 

Ich habe Angst vor Gott seit meine Mutter sang und morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt. In den Elegien tummeln sich zu viele Engel. Schrecklich. Mir sind die Geschichten ausgegangen – der Punkt ist doch: Ich bin auch nur ein langweiliger Mensch.

 

Wenn die Motte im Licht stirbt, dann auch nur – weil sie alles wollte. M. sagt, er liebt mich, weil ich so radikal bin. So radial – so radial von einem Punkt ausgehend. So radikal in alle Richtungen strömend.

 

Aber warum klebt ihr mir genau dann den Mund zu.

 

Marlon hat sich ein wenig über die Brüstung gebeugt. Er kontrolliert die Distanz. Wieder reagiere ich zu langsam, oder zu schwach. Ich sei heute sehr kühl, behauptet er. Das stimmt. Ich schweige. Bei mir kannst du dich anlehnen, hatte er damals gesagt – und einnicken, zumindest gedanklich oder erzählen – mir kannst du alles erzählen, eigentlich kannst du tun und lassen was du willst. Ich habe genickt und gelacht und dann wusste ich auch nicht – dann war irgendwie alles gut. Marlon steht jetzt ganz am Rand und wartet auf mich. Er erwartet mich. Er erwartet, dass ich mich erschrecke aber ich stehe ihm zu kühl an der Brüstung. […] Du kannst alles sein was du willst – ganz wie du bist, kannst du sein, nur nicht so kühl. Wenn du mich – also, wenn du mich nicht – also, dann – dann bist du mir eben auch nicht mehr so wichtig. […] Marlon erwartet mich an der Brüstung. Aber die Sekunde Marlon – die Sekunde, in welcher ich oder du weiß, wer ich oder du bist, bin ich oder du es schon nicht mehr.

0616

Ich sehe meine Kindheit und wie ich als kleiner Junge dachte, niemand sieht mich, wenn ich die Augen schließe.

 

John. Dann schaue ich ihn an, wie er so ganz zu verschwinden droht in seinem dicken Pullover und dem Schal, der auch eine Decke sein könnte. Wie er sich ganz in diesen Stoff hüllt – und ich wäre gerne dieser Stoff, dieser Pullover. Ihn einfach ganz umschließen können, ihn ganz in mir aufnehmen können, ihn mit meinem Sein umschließen … Wärme. Ihn ganz in mir verschwinden lassen.

 

Ich verliere kein Wort. Kein unnötiges Wort verlieren. Wir starren uns an. Von der einen Wand zu anderen starren wir uns an. Dreh mir eine Zigarette, denke ich. Er dreht eine Zigarette, zündet sie an – er hat den Platz am Fenster also kann er rauchen. Ich habe den Platz an der Tür.

 

Deine Abwesenheit nimmt sehr viel Raum ein. Ich will mich … ich will mich. Ich will mich vollkommen umstülpen, von Innen nach Außen. Haha. Ja. Lächerlich. Einfach da-zu-sein. Ich lege dir ja schon alles hin – so mein Sein zu deinen Füßen und so.

 

Schon seit einer Weile … mein Beschluss steht fest. […] Ich spreche nicht. Es ist ruhig. Die Playlist ist zu Ende. Der letzte Song war Do you know what I mean. Ich bleibe einen Moment dabei stehen – das ist kein guter letzter Song. Ich kann nicht gehen so lange dieser letzte Song im Raum steht.

 

John. Er würde sehr genervt schauen, wenn ich jetzt sage: Das war kein guter letzter Song. Das rückt alles in eine seltsame Bestimmtheit. Er würde genervt schauen aber hinaus zum Fenster – so dass ich es nicht sehe. Er ist genervt von mir und meinen Vorwürfen. Es sind keine Vorwürfe – er versteht mich falsch – es sind nur meine Empfindungen, meine Wahrnehmung. Ich will sagen: Was ist daran falsch?

 

Es ist im Allgemeinen kein guter Abend um in Gesellschaft zu sein. Ich hätte lieber sagen sollen: Ich will, dass du mich wahrnimmst. Oder besser: Nimm mich wahr. Ganz wahr. Wahrheit wahr. Oder: Ich bin ein echter Mensch.

 

John könnte ganz in mir verschwinden, wenn ich nur lange genug schweigen. Ich könnte ganz vergessen, dass er ein anderer Mensch ist. Wenn ich nur lange genug nicht da bin, könnte John und dieser absurde Moment irgendwann in mir verschwinden.

 

Jeder zwischenmenschliche Moment endet irgendwo hier – irgendwo hier in mir drin. In den Ecken, also in den Ecken sich gegenüber sitzend und nächstes Mal brauche ich den Platz am Fenster. Ich sei zu extrem. Ich verlege mich in seine Worte – nur in diese, die mein ganz eigenes Gefühl, unzureichend zu sein, unterstützen.

 

Ich will dein Pullover sein, John. So einfach ist das. Er schließt die Augen wenn ich lange spreche – dann verschwindet er. „Ich sehe meine Kindheit und wie ich als kleiner Junge dachte, niemand sieht mich, wenn ich die Augen schließe.“

 

Es zieht John. Es zieht ganz furchtbar in alle Richtungen. In mir ist immer dieser Zug. Ich sitze an der Tür, ramme die Worte in meine Lippen die bald bluten. Irgendwann wird John fragen, ob ich mich beruhigt habe und ich werde nicken. Ich bin ganz ruhig. Wenn ich lange genug ruhig bin, werde ich irgendwann in mir verschwinden.

0615

Gräulich, als ich dann gehe.

 

Den Kopf im Nacken und es sind Wolken. Gerade in der Nacht – in der Nacht sieht man sie besonders deutlich als Momente, die den schwarzen Himmel teilen. Ich habe mich raus geschlichen – ja, ich hasse mich dafür, zu Rauschen obwohl du sagt, ich will nicht, dass du stirbst und ich nehme diesen Satz sehr ernst. Was ist dieses Festgefahrene in mir, dass ich noch so sehr an dieser einen Liebe hänge.

 

Mein Blick geht über den Tisch – dann lächle ich: „Mich macht diese Vorstellung traurig.“ An meinen langen Fingern ist der Russ und die glatte Fläche des Tisches färbt es leicht gräulich, wie ich so langsam die Tabakkrümel von der Kante streiche. Ihm bleibt nur ein Zucken mit den Schultern. Unter dem gekräuselten Pony kann er meine Augen kaum sehen. „Vergänglichkeit meinst du?“ Meine Locken wippen mit dem Kopf. Er weiß, mich stört die Küchenbeleuchtung – zu hell, sage ich dann, viel zu hell und nichts kann sich verstecken, dann lächle ich wieder. Ich mag die Schatten, würde ich sagen. Mein Blick folgt den Tabakkrümeln gegen die Tischkante – gräulich. „Ja!“ sage ich „Oder einfach die Vorstellung, dass es irgendwann einfach vorbei sein soll.“ Meine Tasse ist mittlerweile leer aber der kleine Löffel klirrt gegen das Keramik beim Versuch, noch einen letzten Tropfen herauszuquetschen. Eigentlich hätte er mich ganz herein bitten sollen. Aber wir sind immer so ein Moment dazwischen – als ich dann endlich vor der Tür stand. Irgendwie gähnte er immer. Während der Regen so gegen die Scheiben prasselt, sieht er meinen Kopf schräg in seine Richtung deuten – so aus den Augenwinkeln kann er es sehen. Und ich denke, wann sagt er den endlich etwas. „Willst du noch einen Tee?“ Meine Locken wippen. Ein paar Sekunden Ruhe mit dem Rauschen kochendes Wasser und zum Scherz bewegt er seine Lippen ohne Laute von sich zu geben – aber ich schaue nur auf die Tabakkrümel – ich bekomme seinen Scherz gar nicht mit. Ich sehe nicht, wie er versucht, zu sprechen gegen den Sturm, gegen das Rauschen. „Bist du ein Geschichtenerzähler?“ frage ich, als endlich wieder Stille ist in der Küche, mit der Nase im dampfenden Wasser und er versteht mich nicht. Er kneift die Augen zusammen. „Naja, jemand der so aus dem Moment heraus eine Geschichte erzählen kann – so von Anfang bis Ende mit Spannungsbogen. So jetzt, in diesem Moment z.B., kannst du das?“ Meine Lippen öffnen sich für einen zarten Hauch gegen die Tasse. Dann lächle ich wieder. „Ich glaube, du bist kein Geschichtenerzähler.“ und er denkt, ich denke, es war so viel besser, als wir noch kein Wort gesprochen hatten. Und er denkt, ich denke, ich gehe jetzt – auch wenn es regnet. „Eigentlich ist das die falsche Perspektive.“ sagt er nach einer Weile und meine Tasse ist schon wieder leer. Aus den Augenwinkeln sieht er meinen Kopf schrägt gegen sich. „Du betrachtest es immer aus der Perspektive der Vergänglichkeit aber ich glaube, man muss es aus der Perspektive des Entstehens sehen.“ Etwas in mir runzelt die Stirn. Er denkt, ich denke, ich gehe jetzt – aber meine rußigen Finger bleiben auf der Tischfläche liegen – schwer. „Eigentlich ist das Leben wie dieser Regen – so ein ewiger Regen – mal mehr, mal weniger – aber kontinuierlicher Regen – und jedes Dasein ist wie Tropfen und der Tropfen kommt auf und fließt dann langsam eine Fläche entlang und in diesem Fluss, in diesem langsamen Entgleiten, entlässt er seine Spur auf der Fläche. Natürlich – mit jedem Moment die Fläche entlang, mit jedem Millimeter Spur, verliert der Tropfen an Masse aber diese Masse ist nicht wirklich verloren – sie ist ja in der Spur und selbst wenn der Tropfen dann irgendwann verschwunden ist, bleibt doch seine Spur und die Ahnung um ihn. Und wie der Tropfen also seine Spur auf die Fläche entlässt, so entlässt jeder Mensch sein Dasein in die Welt – jeder Moment des Lebens hinterlässt eine Spur in der Welt, in anderen Menschen – immer – und am Ende ist man nicht einfach vorbei, sondern man ist in der Welt. Zerstreut – aber man ist.“ Gräulich, als ich dann gehe.

0614

Es wäre überhaupt nichts passiert ohne die Liebe.

 

Und das Lied bleibt schön. Ich schließe die Augen. Etwas muss sich verändern. Etwas muss anders sein. Aber er sitzt da in einer gelben Hose und einem kartierten Hemd und ich weiß nicht, ob ich ihn lächerlich finde, weil ich ihn hasse oder ob ich seine Gestalt wirklich lächerlich finde. Ich schließe die Augen. Etwas muss sich verändern. Etwas muss passieren. Mit jedem Augenaufschlag ändert sich die Perspektive – ich will kein schöner Moment sein. Er sitzt vor mir als wäre keine Zeit vergangen – keine zehn Minuten, keine drei vier Jahre, fünf – kein halbes Leben. Er sitzt vor mir in dieser ganz typischen, ausladenden Sitzposition, die den Raum um den Körper ordnen macht, alle Extremitäten quasi von sich gestreckt und mit der gelben Hose sieht er aus wie ein Seestern. Ich warte. Ich warte auf diesen Moment, wo du mir fremd bist. Aber es ist als wäre keine Zeit vergangen, als wäre nichts passiert – es passiert ja auch nichts. Ich schließe die Augen. Gelber Seestern, der Raum sortiert sich um den gelben Seestern, um deine Freiheit, der Raum sortiert sich um deine Freiheit. Ich will alles absagen, ich will jeden anderen Termin streichen – es sind keine Jahre vergangen, keine Zeit ist je vergangen und alles ist, wie es sein soll – ich bin hier, du bist hier – das reicht doch.

 

Ich würde ihm noch in dieser Sekunde alles verziehen. Einfach so. Einfach so, weil er er ist, würde ich vergessen, dass er er ist. Ich würde ihm verzeihen und es wäre nie etwas gewesen, es wäre nie etwas passiert. Endlich verstehe ich die Dummheit der Liebe und dass es nicht viele verschiedenen Lieben gibt, von denen ich träume – es gibt nur Eine und die Eine ist fort. Jeder Versuch mich mit ihm von ihm los zu reden bleibt verfangen in meinem Augeninnenraum der sich festhält an dieser Lücke zwischen Knopf vier und Knopf fünf eines, deines blauen Karohemdes. Unterhalb deiner Brust – diese sanfte Wölbung nach vorne, welche deinen Hemden unweigerlich widerfährt, wenn du dich in den Raum legst … diese Lücke mit Spotlight auf Brustbogen, weiße Brust mit ein zwei Haaren, Härchen. Das ist Liebe. Das ist die Dummheit der Liebe. Schwanz, denke ich – dein Schwanz hat einen leichten Knick nach rechts und der Bart steht dir wirklich nicht und es tut sehr weh, zu sehen, wie du den Nacken deiner neuen Freundin sehr zärtlich küsst, weil ich mich nicht daran erinnern kann, dass du meinen Nacken in all den Jahren je so sehr geküsst hättest.

 

Ich gehe. Ich gehe einfach so, weil es Zeit wird. Ich sage: Melde dich, wenn du mal in Berlin bist. Aber es tut wirklich weh, dass ich dir alles verziehen würde. Liebe tut wirklich weh.

0613

Kleine Wände und ihre langsamen Sollbruchstellen.

 

„Du lächelst so selten.“ sagt er. Ja. Ich streife die Wände entlang – lese Noch einen Moment diese Leere halten, bevor dann etwas Neues beginnt. Heute ist Tageslicht. Heute gibt es keine Scheinwerfer, obgleich jeder Tag sich nach Scheinwerfern anfühlt, nach Begleitmusik und einer Erzählstimme und ob man mich vielleicht für wahnsinnig hält oder wahnsinnig narzisstisch wenn ich meine Tage mit Scheinwerferlicht und Erzählstimme beginne. Sie notiert: Übertriebenes Selbstbewusstsein oder Größenwahn. Frau Doktor – sie macht so gerne Notizen aber erzählen möchte sie nichts – vom schönen Leben. Ideenflucht oder subjektives Gefühl, dass die Gedanken rasen. Irgendwann nach einer schlaflosen Nacht – ja – wir sind den Raum entlang gelaufen, immer und immer wieder – haben die Papierstreifen positioniert aber es war wie eine Art Gefangennahme, stehe ich zwischen der Wolke aus Ich und das Ich ist nur durch diese Trennung des Ich vom Ich möglich und der Rahmen springt. Ich frage mich, woher du das wissen willst – woher wissen Sie, dass ich nur selten lächle und dass ich mich vielleicht nur als einen Menschen inszeniere, der selten lächelt – darüber denkst du nicht nach. Verminderte Fähigkeit, zu denken oder sich zu konzentrieren, oder Entscheidungsunfähigkeit beinahe jeden Tag. Langsam wird der Raum betreten und diese betretene Stille tritt ein, dieser erwartungsvolle Moment, dass sich in mir etwas regt, dass ich auf die Dinge reagiere – die Dinge, die Welt – du willst doch ins Licht geworfen werden. Gefühl der Wertlosigkeit oder ausgeprägte und unangemessene Schuldgefühle (die auch wahnhaft sein können), beinahe jeden Tag (nicht nur Selbstvorwurf oder Schuldgefühle, weil man krank ist).Sie streifen die Wände entlang – ich habe mir einen ganzen Raum gebaut, meinen Innenraum und nun kann ihn jeder sehen und die Frau Doktor kann ihre Sätze hineinschreiben: Deutlich vermindertes Interesse oder Freude bei allen oder beinahe allen Aktivitäten fast den ganzen Tag, beinahe jeden Tag. Sie streift die Wände entlang und liest am Vorbeigehen: Dann fällt man im Blick – es ist das Einfachste zu Fallen. Das Licht kommt von unten, fällt langsam die Wände hoch aber er, er ist zu müde – zu müde für einen Blick die Wände hoch, die Worte usw. zu müde für einen Blick dahinter und er sagt nur: „Du lächelst so selten.“ Wir sitzen hinten im Dunkel auf den Barhocker mit den Füßen in der Luft und ich hasse es, wenn meine Füße in der Luft hängen und Frau Doktor fragt: Warum hassen sie das? Ist doch klar, ist doch klar – ist doch klar, dass ich diesen Zustand nicht ertrage, keinen festen Stand zu haben und Stimmungsstörungen, eine ausgeprägte Periode ständig gehobener, überschwänglicher oder gereizter Stimmung.Wir sitzen hinten im Dunklen der Barhocker und drehen Zigaretten – Zigarettenrest liest er und das Zerschlagen zweier Seelen. „Sind wir das?“ fragt er. Wahrscheinlich, denke ich, denn es ist immer und immer das gleiche. ABER NIEMALS AUSREICHEND SCHÖN. Ich. Aber niemals genug und immer zu viel. Immer das nette Mädchen, immer ganz nett – du bist wirklich eine tolle Frau, eine liebenswerte Frau, eine Frau, in die man sich sofort verlieben könnte – ABER ICH BIN NICHT VERLIEBT IN DICH. „Was ist deine Intention?“ will er wissen? Sind wir das? Sind wir diese Menschen, die nie zusammenfinden? Sind wir diese Menschen aus deinen Geschichten? Sind wie diese: Immer etwas weit Entferntes bleiben. Leerer Innenhof. Nur Innerlichkeit und Festung. Liegt es an mir, willst du wissen. Liegt es an mir, oder an mir, oder an mir oder an mir. Und er streicht mir die Haare aus dem Gesicht, wie als wäre es Liebe. Und er streicht mir die Haare aus dem Gesicht und sagt, ich würde mich verstecken. Ich. Ich. Ich – aber ich stehe doch im Licht – im Scheinwerferlicht mit Erzählstimme und Begleitmusik. Ich. Kleine Wände und ihre langsamen Sollbruchstellen. Du schaust zu mir rüber, du streichst mir die Haare aus dem Gesicht – Ja, das war die Bewegung – der Blick fällt – aber ich will nicht. Ich will es nicht wissen. Ich will es nicht hören. Ich will nicht wissen, was für ein toller Mensch ich bin. Du – du ist dieses Gefäß, welches Welt in Worte auflöst – nahe Worte, ferne Worte – mit Scheinwerfer und Begleitung. Ein Mal alles von Innen nach Außen stülpen – aber es gibt dann keinen Weg zurück und wir verkümmern – wir verkümmern, wenn mich keiner aus dem Licht abholt, verkümmere ich. Kümmre dich um mich, statt mir die Stirn zu küssen, als wäre es Liebe.

0612

Ich stelle mich in die Mitte der Dinge – als ihr Ausgangspunkt.

 

Ich stelle mich in die Mitte der Dinge – als ihr Ausgangspunkt. Am Anfang der Dinge bin ich. Über mir schreit das Kind und es ist verständlich – endlich hat es begriffen, auf der Welt zu sein. Diese kleine Grausamkeit geht durch seine Schreie in mich über. Du sitzt am Schreibtisch und schreibst. Unbekümmert. Das gefällt mir so an dir – dich kümmert nichts. Ich schaue dich lange an, weil ich nicht weiß, wie ich dich berühren soll. Weil ich nicht weiß, ob ich da sein soll. Wenn ich so mit meinen Fingerkuppen deinen Hals entlangfahre, fühlt sich jede meiner Berührungen viel zu klein an, um dich zu erfassen – um dich überhaupt greifen zu können – ich denke nicht, dass ich bei dir ankomme. Und berühren bedeutet, zu rühren – an zu rühren – etwas in Bewegung zu bringen. Ich denke nicht, dass ich dich bewege. Ich bin kein bewegender Mensch. Ich schaue dich lange an. Das Kind schreit. Wenn tatsächlich niemand darum bittet, auf der Welt zu sein, irritiert mich dieser Zustand des auf-der-Welt-seins zunehmend. Ich reflektiere die Gegebenheit, dass nichts gegeben ist. Das Kind schreit. Niemand hat dich darum gebeten, auf der Welt zu sein. Ich drehe mich auf die Seite und sehe – dich. Also nur die Spitze deiner Armbeuge und wie du sie behutsam – könnte man sagen – über die Augen gelegt hast – obwohl du behautet hattest, es würde dir nichts ausmachen, mit den offenen Vorhängen zu schlafen, weil ich kann nicht ohne Welt schlafen oder immer sind diese Räume dann viel zu klein werdend, sobald man die Fenster schließt – ich will diese Ruhe nicht. Das Kind schreit. Ich sehe die Spitze deiner Armbeuge und wie du sie dir behutsam, könnte man sagen – aber das ist ja nur mein Eindruck – in Wahrheit hast du es einfach getan und in diesem reinen Tun liegt keine Behutsamkeit – nicht mal ein Gefühl – in tuen – das ist nämlich das älteste Wort Deutscher Sprache – in tuen liegt keine Behutsamkeit. Wenn wir einfach all diese Dinge tuen, weil wir sie tuen. Wir tuen nur so. Es ist also nur mein Blick auf die Spitze deiner Armbeuge über die Augen gelegt, der eine gewisse Behutsamkeit in dich hinein tut. Das bin also ich. Ich stehe am Anfang der Dinge. Mein Eindruck – und Eindruck bedeutet, das eigene Sein in die Welt einzudrücken – der Welt das eigene Sein aufzudrücken und darum hat nun wirklich niemand gebeten. Das Kind schreit. Dir also mein Sein aufzudrücken – ich dränge mich dir auf, während deine Armbeuge dich schützen soll. Als würde das reine Schließen der Augen irgendetwas daran ändern, dass das Kind schreit.

0611

Vögel sind nicht für Hände geboren.

 

Ich denke immer, es gäbe so eine ausgleichende Gerechtigkeit – dass sich am Ende (welches Ende?) alles im Sinne einer Gerechtigkeit (welche Gerechtigkeit?) fügt. Marlon sagt, ich hätte einen sehr ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit qua einer Sehnsucht. Ich sehne mich nach Gerechtigkeit, behauptet Marlon. Marlon. Ich glaube, wir sind ein Paar, das nie zusammen sein wird. Wir werden immer aneinander vorbei sein – immer beieinander aber nie zusammen. Bis wir irgendwann alt sind und erst dann, wenn wir alt sind, wenn es wirklich absolut nichts mehr zu verlieren gibt – dann werden wir zusammen sein. Dann werden wir beieinander sitzen, er im Sessel neben der Bibliothek, ich am Fenster. Wir werden Bücher lesen und gelegentlich wird er oder ich aufblicken und einfach in die Stille hinein einen Satz vorlesen – einen, an dem wir hängen bleiben und der andere wird zugehört haben, einen kurzes Lächeln aber er wird einfach weiter lesen und beim nächsten Satz der hängen bleibt, wird er oder ich ihn laut in den Raum lesen.

 

Du bist, wo die Kirschbonbons sind – ich bin so wild. Ich bin so wild. Schau, es ist der Himmel, der nach uns schreit – mein Schritt sagt ja. Mein Schritt sagt ja. Lass die Sonne nicht warten – sie wartet nicht. Sie wartet nicht. Lange wartet sie nicht – man kann nicht immer alles hinschmeißen aber man sollte es. Man sollte in dem einen oder anderen Moment sein ganzes Sein auf den Boden werfen, vor deine Füße will ich es kippen. Vor deine Füße will ich es kippen. Es hat keinen Sinn, wenn man nicht stolpert, übereinander stolpert – in diesen Augenblick stolpern. In diesen Anblick stolpern – wie ich dich lange anschaue. Lange, lange schauen ich dich an – ich kann lange schauen und will eine Ansicht lang nur von deiner Schönheit leben, kann mich ganz hinein legen in dein Antlitz – lass die Sonne nicht warten. Ich will mich in dir ausruhen – verweilen. Du bist, wo die Kirschbonbons sind. Dein Körper ist so lang gezogen, weil er dem Himmel gehört – er muss dort hin zurück. Gemeinsam das Leben nicht verstehen – mehr nicht. Du bist, wo die Kirschbonbons sind – ich bin so wild. Ich bin so wild. Schau, es ist der Himmel, der nach uns schreit – mein Schritt sagt ja. Mein Schritt sagt ja.

0610

Präludium: Die Arroganz Adams

 

Adam ist arrogant. Wie er in der Erde liegt und seine Hand locker in den Himmel streckt – als wäre es gar nichts – diese Bewegung. Als würde es ihm keine Mühe machen. Als wäre es gar nichts, das Leben zu empfangen. Natürlich, er hat nicht darum gebeten. Er liegt auch genau so da, als hätte er nicht darum gebeten. Seine Hand hängt schlaff in der Luft. Adam langweilt mich mit seiner Arroganz. Er versteht das Leben nicht. Norah lacht, als ich ihr das ein paar Stunden später mitteile. Wir sind schon längst nicht mehr in der Sixtinischen Kapelle, sondern wieder auf dem Weg zurück ins Hotel durch die glühende Augustsonne. Nur Touristen sind im August in Rom – nur Touristen. Norah hatte den ganzen Vormittag über geschwiegen, dabei wollte sie unbedingt rein und die Pieta sehen usw. – und jetzt lacht sie. „Ich finde das alles schrecklich.“ sagt sie plötzlich. „Und du verstehst es nicht mal.“ Wir stehen auf dem kleinen Balkon, der zum Glück im Schatten liegt – ich verstehe nicht, wie sie diese Hitze ertragen kann – wie sie sich immer wieder in die Sonne setzen will – in diesen banalen Zustand: Sonne. Und irgendwann tropft ihr der Schweiß aus den kurzen Haaren über die Stirn – ein seltsam säuerlicher Geruch aber nicht schlimm, nur anders. Jetzt aber stehen wir im Schatten und sie sagt: „Das ist alles Blut und du verstehst es nicht mal – du Katholik!“ und das letzte Wort hat sie ganz bitter ausgesprochen, ganz klar und hart. „Ich schimpfe nicht über die Kunst – nur eben, dass es alles Blut ist – auf Blut gebaut für Prunk. Und dann verstehst du es nicht ein mal.“ Ich war mit einer gewissen Begeisterung durch den Petersdom gelaufen, weil mich seine Größe überraschte. Norah stand lange vor der Pieta, hat aber nichts gesagt. Überhaupt: Sie hatte gar nichts gesagt. „Ich finde das alles widerlich – wirklich widerlich – schade, dass es so schön ist.“ sagt sie „Schade also, dass du es nicht verstehst. Es ist eben die Erschaffung des Menschen.“ und wieder hatte sie die Worte ganz deutlich, ganz hart ausgesprochen als würde sich die Bedeutung dieser Worte verdichten, wenn man sie nur besonders deutlich ausspricht. „Ja und?“ ich will rein gehen – drinnen ist es kühl, auch wenn die Klimaanlage kaputt ist, auch wenn die dunstig-warme Luft von draußen seit unseres Aufenthaltes auf dem Balkon beharrlich herein geströmt ist – es ist viel kühler. Ich will mich auf das Bett legen. Ich will schlafen. Adam langweilt mich mit seiner Arroganz. „Das ist die Erschaffung des Menschen.“ sagt sie erneut „Denn der Mensch ist noch gar nicht. Und alles wartet auf diese letzte Berührung Gottes. Der Arm hängt nicht aus Langeweile, nicht aus Arroganz – der hängt, weil er eigentlich noch gar nicht ist und das ist letztlich der Zustand, in welchem wir immer noch sind: Wir sind nicht – wir warten auf diese letzte Berührung, auf den letzten Stoß, der uns zum Menschen macht. Und deshalb hasse ich die Kirche. Sie macht uns wartend. Sie entlässt uns in dem Glauben, auf diese letzte Berührung ein Leben lang warten zu müssen.“

0609

Wir werden für immer.

 

Für M. notiere ich: Müsli mit Apfel und Banane, Couscous mit Gemüse, Knäckebrot mit Frischkäse, Karotten, zwei Duploriegel.

 

Kein unnötiges Chaos hinterlassen. Ich schiebe die Stapel von der einen Ecke in die andere – oder Regalboden. Von einem Regalboden auf den anderen. Ich weiß nicht, was das alles für Zeug ist aber es ist meines. Es hat irgendetwas mit mir zu tun. Es sind Dinge. Es sind Dinge aus verschiedenen Zeitebenen – Erinnerungen also. Ich denke, wir sollen uns nur erinnern – wir erinnern uns nicht wirklich. Ich bin mit meinen Gedanken nicht plötzlich bei Flo, weil ich einen dieser Zettel finde, auf welchen er immer seine Gedichte entworfen hat – die vielen Zettel mit seiner Handschrift, die ich ich irgendwo zwischen Buchseiten versteckt habe, damit er sie nicht wegwirft, damit sie meine sind. Aber dieser Einheitsgedanke ist wirklich Quatsch. Ich habe zu viele Aufsätze über den Kugelmenschen geschrieben, um jetzt zurück rudern zu können. Wahrscheinlich werde ich für den Rest meines Lebens mit diese Vorstellung leben müssen, dass es nur den Einen gibt und wenn der Eine mich aber nicht liebt, werde ich einfach einsam sein müssen. Und immer wenn mir deine Zettel zwischen den Buchseiten begegnen, soll mich das daran erinnern, dass meine Liebe kaputt ist. Ich habe zu viele Aufsätze über die Kugelmenschen geschrieben … ich werde für immer.

 

Wir werden für immer. Ich habe keinen Fernseher aber was Valentin nicht weiß, was niemand weiß: Ich ertrage die Stille nicht. Ich ertrage die Stille nicht, wenn jeder Gedanke gegen meine Wände halt und Musik ist nicht laut genug. Er kann den Stolz in meiner Stimme kaum überhören, wenn ich betone, dass ich schon seit zehn Jahren keinen Fernseher mehr habe. Jetzt ist die Zeit angebrochen: Es gibt Dinge, die schon zehn Jahre her sind, zehn, fünfzehn, zwanzig Jahre her sind. Zehn, fünfzehn Jahre lang ertrage ich die Stille nicht. Musik reicht nicht, meinen Kopf ruhig zu stellen – in dieser Stille, alleine, vier Wände und Kopf. Dann schalte ich die Serien ein. Meine Freunde. Sie reden mit mir, meine Freunde – sie reden mit mir, erzählen mir von ihren Problemen und die sind simpel und dann auch meine Probleme – unsere simplen Probleme. Und nach zehn, fünfzehn Jahren ohne Fernseher kann ich viele Textzeilen der Dialogfragmente mitsprechen und wir sprechen dann aus einer Stimme – Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,// nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich, //der aus zwei Saiten eine Stimme zieht. „Weißt du jetzt, was du mit Unterordnen meinst?“ – „Ich glaube, das ist etwas Atmosphärisches, was sich schwer in Worte fassen lässt. Es bedeutet, dass die Frau systematisch auf minimale, subtile Weise ihre Interessen ein bisschen zurück stellt oder eher indirekt verfolgt. – Oder es gibt auch eine Identität der Interessen. Und der Mann repräsentiert diese Identität gegenüber Außenstehenden.“

0608

Wenn du jemanden zerstören willst, vergiss ihn.

 

Die klassische Symbiose von Mann und Frau ist etwas sehr Subtiles, sagt M. Das soll heißen: Du hast mir lange genug deine Grenzen gezogen, jetzt sei wieder lieb. Ich überlege, was für ein Typ Mensch du bist, während du über Sternzeichen redest – über die Arroganz der Löwenfrau z.B., die nur sich selbst liebt. Die sich ständig zur Schau stellt und der es nach Bewunderung sehnt. Verehrung steht für sie an erster Stelle – ihre eigenen Gefühle werden dabei nicht immer berührt. In gewissem Sinne bietet sie Sex zum Verkauf an, dessen Bezahlung in der Befriedigung besteht, zu wissen, wie hoch sie im Kurs steht. Sie muss ihrem Partner nicht nur viel bedeuten, sie muss für ihn die Einzige sein. Für sie selbst gilt diese Einschränkung nicht. Sie braucht die Freiheit, umherzustreifen … und die Beute ist nur allzu willig. Sie liebt Menschen, ist aber egozentrisch. Sie dominiert, aber mit Würde. Sie ist eitel, aber gutherzig – ein widersprüchliches Geschöpf, welches die Probleme anderer nur in Relation zu sich selbst sieht. Sie ist ungestüm, unberechenbar, verführerisch. Ihre Gefühle sind oft oberflächlich, nur in seltenen Fällen tief. Sie verliebt sich schnell und häufig, ist aber nur in seltenen Fällen fähig zu lieben. Es fehlt ihr die Fähigkeit zur Hingabe, sie kann sich einem Anderen nicht unterwerfen. Gestaltet sich ein Verhältnis zu bequem und sorgenfrei, wird sie leicht faul und bemüht sich in ihrer Trägheit kaum mehr um Aktivitäten im Schlafzimmer. Infolgedessen brennt das Feuer, welches sie im Liebhaber entzündet hat, oft aus. Ohne seine Bewunderung versandet ihre eigenen sexuellen Begierden langsam. Um ihre besten Seiten zu entfalten, braucht sie Abwechslung, aber ihr im Grunde indolentes Wesen erschwert dies. So entsteht nicht selten ein Stau, in welchem sie einfach stecken bleibt. Sie kann denen, die sie lieben, treu sein; doch wenn deren Liebe nachlässt, fühlt sie sich ermächtigt, umherzustreifen. Sie befindet sich häufig in einem Dreiecksverhältnis mit zwei Männern. Indem sie den einen gegen den anderen ausspielt, herrscht sie als Königin. Sie ist nur glücklich, wenn sie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. Entspricht man nicht ihren Erwartungen, sucht sie die Schuld nie bei sich selbst. Erleidet sie einen seelischen Rückschlag, dramatisiert sie gern und spielt die tragische Heldin. Sie erstrebt den Effekt, nicht den Ausdruck echter Gefühle. In Wahrheit sind die meisten Tragödien, die ihr widerfahren, von ihr selbst verursacht. Sie glaubt idealistisch zu sein und darum permanent enttäuscht zu werden. Sie hat eine große Begabung, sich selbst unglücklich zu machen. Andere Frauen beneiden sie, weil sie den Männern sofort ins Auge fällt. Das Lächeln, welches sie einem Mann schenkt, kann jedoch Täuschung sein; es bedeutet nicht unbedingt, dass er ihr Eindruck macht. Sie hat das unersättliche, unheilbare Bedürfnis, bewundert zu werden, und sie wird mit jedem flirten, um das zu erreichen. Ihr Begleiter darf sie keinen Augenblick im Zweifel lassen, dass sie die Sonne an seinem Himmel ist, sonst wird es unerträglich. Unfair? Natürlich! Aber so ist es nun mal und der Mann, der sie begehrt, muss sich mit dieser kleinen Eigenart abfinden. Sie hat einen gesunden Sinn für Humor, kann herzhaft und laut aus sich herauslachen und verfügt um ein feines Gespür für Pointen. Steht ihr Zeichen in guten Aspekten zu anderen, kann sie ausgesprochen schöpferisch sein. Auf intellektuell Gebiet ist sie kühn, einfallsreich und abenteuerlustig. Sie ist begabt, hat dafür aber oft merkwürdig wenig vorzuweisen. Jegliche Routine langweilt sie. Sie wird einiges dafür tun, der Eintönigkeit aus dem Weg zu gehen. Bei allem, was sie tut, lehnt sie Kritik ab. Sie übt auch keine Selbstkritik. Für ihre Umwelt ist sie nicht immer einfach zu ertragen.

 

Alles in allem ein liebenswerter Mensch.

0607

Die Geschichte zum Täter machen.

 

Wenn ich nicht ich wäre, würde ich Sie heiraten. Herr T. schreibt solche Dinge. Es ist, um mich wütend zu machen aber wahrscheinlich meint er es nett oder lieb oder liebevoll. Valentin erschrickt, als ich das Handy gegen die Wand schmeiße. Er steht auf, im Bücken schaue ich ihm auf den Arsch (ich bin kurz überlegt, ihm das zu sagen, schweige aber dann) – das Glas der Oberfläche ist gesprungen. Er will wissen, ob das jetzt wirklich notwendig war. WENN ES NICHT NOTWENDIG GEWESEN WÄRE, HÄTTE ICH ES NICHT GETAN. Schreit mein Bewusstsein – ich schweige. Mir gefällt das gesprungene Display, die Worte verziehen sich. Wenn ich nicht ich wäre, würde ich Sie heiraten. Das trifft auch auf mich zu – insofern ist es eine wahre Aussage. Wenn ich nicht ich wäre, würde ich mich heiraten. Valentin ist ja noch da – Schluckauf. Er ist ein Mensch. Er ist ein anderer Mensch. Das Gefühl seines Menschseins erschreckt mich zutiefst. Ich will verschwinden.

 

Ich schreibe M. einen Brief ohne Ansprache. Ich schreibe ihm, es sei schön, dass er schreibe obgleich er nicht geschrieben hatte. Ich mache einen Witz. Gerade wäre ich nach Hause gekommen, schreibe ich ihm, nach Hause von der Hochzeit. Ich frage mich, wie viele literarisch bedeutende Briefwechsel der Nachwelt verborgen bleiben werden allein wegen des Internets. Ich habe an ihn gedacht, schreibe ich. Das stimmt nicht. Ich schreibe es dennoch – es klingt nett. Ich schreibe: Es war ein wirklich schönes Fest und ich freue mich für meine Freundin und meinen Freund, dass sie zusammen gefunden haben und so eine herzliche Runde zusammen stellen konnten mit all den Menschen, die ihre Freude teilen. Aber mir ist ein weiteres Mal aufgefallen, wie seltsam ich Beziehungen finde. Ich unterbreche meinen Brief um aufzustehen und Erich Fromm zu suchen. Er ist in einer der zehn, zwölf Kisten – ich weiß natürlich nicht in welcher. Aber ich will jetzt ganz dringend Erich Fromm lesen! Man findet oft zwei Verliebte, die niemanden sonst lieben. Ihre Liebe ist dann in Wirklichkeit ein Egoismus zu zweit; es handelt sich dann um zwei menschen, die sich miteinander identifizieren und die das Problem des Getrenntseins so lösen, dass sie das Alleinsein auf zwei Personen erweitern. Sie machen dann zwar die Erfahrung, ihre Einsamkeit zu überwinden, aber da sie von der übrigen Menschheit abgesondert sind, bleiben sie auch voneinander getrennt und einander fremd; ihr Erlebnis der Vereinigung ist damit eine Illusion. Ich schreibe M., dass ich Fromm jetzt verstehe. Es sei mir klar, schreibe ich ihm, dass sich bestimmte Formen von Intimität oder die Intimität an sich tatsächlich nur in Paarbeziehungen realisieren lassen (wobei ich glaube, dass das nicht stimmt – denn ich habe auch mit Freunden solche Momente der Intimität erfahren) aber ich fände die Konstellation von zwei doch seltsam. Man schließe mit seiner Liebe, schreibe ich ihm, so viele andere Menschen aus. Eine Gruppe bestünde mit einem Mal nur noch aus Paaren und sei nie wirklich als Gruppe vorhanden – wirklich vorhanden, gegenwärtig, anwesend, da. Es bleibt eine greifbare Verschlossenheit. Ich fände das absurd, schreibe ich ihm. Mein Herz tue mir weh und meine Füße (von den Schuhe mit den hohen Absätzen, aber das schreibe ich nicht, weil es ohne diese Anmerkung poetischer klingt). Ich hätte mich die meiste Zeit in einem Teil von mir sehr unwohl gefühlt, schreibe ich ihm. Zum Einen wäre ich alleine gewesen und all die anderen, all die Paare hätte eine direkte Bezugsperson gehabt – ich stocke. Ich will das nicht schreiben, also lösche ich das. Die Einsamkeit der Frau mit dem Marmeladenbrot, denke ich. Ich hätte mir so gut vorstellen können, einfach Else mit auf die Hochzeit zu nehmen oder Tom. Ich brauche keinen Partner, schreibe ich ihm. Es sei schön, jemanden zu lieben, einen besonderen Menschen zu lieben aber warum muss eine Beziehung immer auf solch eine Geschlossenheit hinaus laufen? Ich liebe doch auch meine Freunde, schreibe ich ihm. Ich liebe so viele Menschen. Doch dann säße man auf dieser Hochzeit und sei automatisch allein. Das fände ich nicht gut. Das sei so weit von meinem Leben entfernt, schreibe ich ihm. Oder von dem, was ich fühle.

 

M: Es ist normal, dass du dich in solch einer Situation einsam fühlst.

 

Dann lösche ich alles und rauche eine Zigarette auf dem Balkon.

0606

In jedem freien Willen sollte ein Schaukelstuhl enthalten sein.

 

Die zerbrechlichen Dinge werden ja extra in Zeitungspapier gewickelt und um jedes Herz ist fürsorglich ein ganzer Mensch gepackt. Mein Mensch liegt auf den Dielen, zwischen den Dielen in dieses knarzige Geräusch gelegt und heult. Mein Mensch weiß nicht, was passiert – was passiert da mit meinem Menschen, während ich so sehr an dem Schal ziehe, dass es meinem Menschen ganz flau wird um den Hals, dieser kurze Augenblick Atemnot – dann lasse ich los.

 

Wie bekomme ich denn jetzt meine Seele von dir los?

 

Mit einem Mal ist der Mohn aufgeblüht. Gestern war von ihm noch nichts zu sehen und jetzt ist die ganze Wiese hinter dem Haus voller roter Blüten. Ich soll immer die sein, die dich schüttelt. Denkt es in mir – ich soll immer die sein, die da ist. Dabei wünsche ich mir doch nichts mehr, als einen Schaukelstuhl. Ich mag diese Bewegung zwischen bergauf und bergab und manchmal stelle ich mir vor, du würdest hinter diesem Stuhl stehen und ihm immer dann einen Stoß geben, wenn die Bewegung droht zu erliegen.

 

S: Du musst das nicht verstehen.

 

M: Du willst also in Zukunft egoistischer und weniger kompromissbereit sein?

 

S: Nein. Ich bin es.

 

M: Das sind eigentlich nicht so tolle Eigenschaften.

 

»Ich will wissen, wer jemand wirklich ist.«

 

Zieh dich aus – ich will wissen, wer du wirklich bist. Menschen – kommen auf ihrer eigenen Oberfläche zum Erliegen. Der Weg ist schwer – vorbei an den ersten kleinen Reizen, vorbei an der ersten Schicht. Hol den Zollstock raus und miss meine Tiefe – du Arschloch. Und aus allen Ecken kreischen die Warnrufe vor mir bekannten Seelen. Ich kann mich lange ausziehen, Stück für Stück und schälen bis auf den Grund meines Daseins – bis da nichts mehr ist. Bis ich mich ganz in Luft ausgezogen habe und im Winde klirren die Fahnen. Ich habe mich verfangen in dieser alten Leib-Seele-Spaltung und sie klebt mir unter den Füßen, hält mich schwer – ich weiß nicht mehr weiter. Während ich die Straßen ablaufe, denke ich über deine Gedichte nach. Habe die Zeilen gewendet, viele Male in meinem Kopf – kann sie auswendig sprechen, während mich die Breitbeinigen daran erinnern, dass ich einen Körper habe. Zieh dich aus – ich will wissen, wer du wirklich bist. Ich halte dir mein Köpfchen hin und schnurre brav, wenn du mir die Haare aus dem Gesicht zitierst. Ich kann mich lange ausziehen, schälen bis auf den Grund meines Daseins – bis die ganzen Ichs und Dus in sich zusammen fallen, die ganzen alten Geschichten und wie wir sie beharrlich wiederholen – bis du mir dein Sein ganz aufgezwungen hast. Seelen verschmelzen, das ist das Schlimmste und Schönste – summe ich auf dem Weg zur U-Bahn und verschmelze doch nur mit Fahrgast eins bis hundert gegen den Spalier gedrückt. Mir fällt es schwer, den Fremden in die Augen zu schauen und nicht genervt zu sein, wenn der Typ mir gegenüber schwitzt wie ein Schwein oder Frau mir laut ins Ohr kichert – es fällt mir schwer, euch alle nicht zu hassen ob eurer Freiheit. Das Schlimmste und Schönste in den Anderen hineinzufallen – auf diesen harten Grund. Und ich frage mich, wie man wirklich sein kann – weil mir jedes Sein so furchtbar erfunden vorkommt. Kleine Ich-Konstruktionen – kleine Ich-Geschichten von damals früher jetzt. Weil ich gegen Alles und dich nur meinen Kopf halten kann – immer wieder – nur Worte halten kann, festhalten kann, wie sie sich ihren Weg suchen in das Unbekannte in mir und die Lust – die Lust am Anderen. Überwältigt mich immer und immer wieder.

0605

Dinge für sich behalten – wie Erinnerungen.

 

Ich mag es z.B. wenn in einer Knabberbox das Knabbererzeugnis der einen Sorte beim maschinellen Einfüllen im genormten Raum der anderen Sorte landet. Ich frage mich, wie es ihm ergangen ist allein unter Andersartigen. Ich stelle es mir nicht einfach vor. Ich denke, er hatte es nicht leicht. Vielleicht hat er versucht, eine Religion zu gründen, zur Rechtfertigung der eigenen Existenz. Ich schaue ihn lange an: Wie ist es dir ergangen? Leider habe ich die zu ihm gehörende Sorte schon aufgegessen – sonst hätte ich dich ans Licht bringen können, in den Himmel – wo alle ganz genau so sind wie du. Aber er bleibt allein.

 

Ich stehe auf dem Balkon und die Asche meiner Zigarette landet die drei Stockwerke tiefer – ich stelle mir das Ganze als Kamerafahrt vor und vielleicht mit Musik.

 

Ich rauche die Zigarette und ich will, dass sie ewig lang glüht, wie ich. Ich kann mir nicht vorstellen, was nach mir sein soll – ein Hohlraum, Leerstellen.

 

Das bin ich.

 

Leerstellen.

 

Für dich Mutter – für dich wünsche ich mir Enkelkinder. Aber für mich nicht – für mich ja nicht. Und dass ich meine Mutter auch darin enttäuschen werde, ihr niemals ein Enkelkind bringen zu können.

 

Ich sitze mit Levi im Café und er will wissen, warum ich keine Kinder will. Mein Lachen hilft nicht, ihm die Sorgen von der Stirn zu nehmen – ich sehe, wie sich der obere Bereich seines Gesichtes verkrampft immer mehr, sehe die tiefen Kuhlen im Wechsel mit Hautbergen. Mein Lachen macht es nicht besser. „Von dir?“ frage ich ihn und er zuckt mir der Schulter. Oder generell – warum ich so gegen Kinder sei, warum ich vor wenigen Minuten dem kleinen Mädchen noch einen abfälligen Blick zu geworfen hatte, während es versuchte, einen Stock aufzuheben, auf welchem es mit beiden Füßen fest stand. „Ich fand es ein bisschen blöd.“ sage ich „Oder zumindest fand ich es nicht süß.“ Ich schaue ihn ein bisschen an und denke: Levi ist doch wahnsinnig. Und ich bin es auch und was machen zwei Wahnsinnige mit einem Kind. Ich glaube Levi braucht eine Aufgabe, der braucht ein Leben, das ihm Struktur gibt und einen Sinn. Levi muss ein großer Mann sein oder zumindest der kleine Chef einer Familie. „Aber warum willst du keine Kinder?“ fragt er erneut. Plötzlich durchstößt mich dieses Gefühl wie damals mit Flo als wir ein zwei Tage dachten, ich sei schwanger. Dieses Gefühl wenn sich der ganze Körper zwischen Magen und Brustbogen zusammenzieht – verschwinden will – wenn der ganze Körper in dieser Stelle zwischen Magen und Brustbogen verschwinden will. „Ich habe Angst vor ihrer Liebe.“

0604

Bis ich mich an eine Beziehung gewöhnt habe, ist sie vorbei.

 

M: Hmh.

 

S: Deine kontextlosen Hms werden mir sehr fehlen.

 

M: Werden dir fehlen? Wieso?

 

S: Naja, irgendwann werden wir nicht mehr miteinander sprechen, dann werden sie mir fehlen.

 

M: Wieso werden wir irgendwann nicht mehr mit einander sprechen?

 

S: Naja, irgendwann spricht man immer nicht mehr miteinander – dann hat man sich ausgesprochen.

 

M: Ach.

 

Es ist einfach kein Ende in Sicht. Ich halte mich mit Weizenmehlkräcker bei der Stange und das schlechte Gewissen aus der Ernährungstherapie meldet sich – ich fühle mich schlecht. Ich fühle mich so schlecht, dass die Vorstellung alle Kräcker auf ein Mal reinzustopfen, sehr verlockend ist – aber ihre Farbe gefällt mir nicht. Weizenmehlkräcker auszukotzen sieht einfach nicht schön aus. Ich darf eh nur alle fünf Stunden essen und es muss aus Vollkorn sein und Gemüse sein. Es muss ausgewogen sein. Wenn M. mich jetzt bitten würde, ihm aufzuschreiben, was ich jeden Tag esse, würde auf der Liste stehen: Weizenmehlkräcker, Weizenmehlkräcker, Weizenmehlkräcker.

 

Die Tiefsinnigkeit eines durchgesessenen Sessels ist kaum auszuhalten.

 

Natürlich war es in gewisser Weise einfacher, die Kopfschmerzen in den Sessel zu verlegen – in die ungünstige Sitzposition oder in die Tatsache, dass ich zu wenig getrunken hatte – den ganzen Tag über und ich denke Flüssigkeitsaufnahme gerne in Tagen. Das ist eine passable Zeiteinheit – auch Nahrungsmittelaufnahme kann man ganz gut in Tagen denken und das ist vielleicht auch weniger belastend – es hat wirklich wenig Sinn, für diese basalen Augenblicke eine Zeitrechnung von Monaten oder Minuten zu bemühen. Ich rechne dann z.B. mindestens fünf Mal am Tag müsste ich die Flasche auffüllen und sie leer trinken – das ist das erforderliche Minimum. Und das Intervall von fünf Stunden im Bezug auf Nahrungsmittelaufnahme hat sich mir im Hinblick auf den Insulinabbau auch erschlossen. Ich denke jede Nahrungsmittelaufnahme in einem Takt von fünf Stunden – Tick, tick, tick. Das ist Zeit. Natürlich kränkt es mich in gewisser Weise, dass der heutige Kopfschmerz wenig mit der Sitzposition zu tun hat, sondern eher der Tatsache geschuldet ist, dass ich die Flasche Heute nur zwei Mal aufgefüllt hatte und nun ist es Nacht. Die Zeiteinheit Tag ist vorbei. Im Hinblick auf meinen Flüssigkeitshaushalt hatte ich versagt. Natürlich kränkt mich dieses Versagen – wen nicht? Das Versagen an den eigenen Körper – immer wieder. Eine der größten Kränkungen. Es ist aber von Vorteil in einem Sessel zu verschwinden, z.B. wenn ich die apathische Gelassenheit des Barkeepers beim Herauspressen der Eiswürfel aus der Plastikfolie (es ist immer ein seltsames Gefühl, Menschen dabei zu beobachten, wie sie Dinge an die Oberfläche pressen) – wenn ich z.B. diese bis hin zum Stillstand verlangsamten Züge des Barkeepers, jeder eingespielten Bewegung Hochachtung zu verleihen durch präzises Auflösen in Zeiteinheiten, deren hermetische Verschlossenheit unüberwindbar ist (was empfindet er beim leichten Druck des Glases gegen die Spülbürste und warum macht es ihn nicht Wahnsinnig, dass das Wasser nun im Glas selbst auf den Grund fließt und sich dort langsam eine Pfütze Spülwasser bildet, die er nun mit dem liebevoll und ganz genau abgemessenen 2 cl Klarem vermengt). Wenn ich all das nicht erträgt, ist es von Vorteil, in einem Sessel zu verschwinden – immer wieder. Ich spüre das Trockene an meinen Nasenflügeln und auf meinen Lippen – sie brennen schon lange. Das erste Glas schulde ich also meinem Durst und dem Gefühl im Allgemeinen einfach lockerer werden zu müssen – das sage ich doch immer: Mach dich mal locker. Sei nicht so nervös. Beruhig dich mal. Ich denke, die meisten Menschen sind recht stolz auf ihre Spleens, wenn sie Dinge in Foren diskutieren z.B. beim Einkaufen nehme ich immer das dritte Produkt von vorne oder ich möchte, dass die Wäscheklammern immer die gleiche Farbe haben und von der gleichen Beschaffenheit sind usw. – ich denke Spleens geben mir das Gefühl, einzigartig zu sein. Der Spleen des Barkeepers z.B. ist es, alles ganz ganz langsam zu tun mit einem gewissen Desinteresse, leicht abwesend, leicht über den Dingen. Deine Abwesenheit fällt mir heute schwerer ins Gewicht. Jedes Bemühen den Gedanken daran wegzuwischen scheitert in kindlichen Schmierereien, wie damals, als die Kindergärtnerin mir das Fehlen feinmotorischer Fähigkeiten diagnostizierte und behauptete, die Rolle der Braut sei den blonden Mädchen vorbehalten. Ich will von nichts und niemandem berührt werden, außer vielleicht vom Duschvorhang. Das ist jetzt auch nur so eine Ahnung – ich nenne es Ahnung vor dem Unvermeidlichen, dass du entweder frisch verliebt oder tot bist. Also verschwinden im Sessel oder in den Gedanken also in deinen Gedanken verschwinden. Ich denke, du bist kurz davor, mich zu vergessen, sonst müsste ich nicht so häufig an dich denken und drüben am Tisch, der nur in meinem Augenwinkel liegt – also am anderen Ende des Raumes aber im äußeren Winkel meines Sichtfeldes irgendwie ganz nah sitzt er – so nahe, ich könnte Hallo sagen – oder? Das liegt an der Größe des Raumes und hat wenig mit meinem Augenwinkel zu tun (auch wenn das ein schöner Gedanke ist und Männer es ja im Allgemeinen mögen, wenn man – also frau – also die richtige Frau die Initiative ergreift und einfach mal aus dem Augenwinkel heraus Hallo sagt). Auch wenn ich viel Allgemeines finde – wie z.B. dass klassische Zeitmaßeinheiten hier keine Relevanz haben – auch er in meinem Augenwinkel ist von dieser ganz eigenartigen Gelassenheit durchdrungen als gäbe es keine Welt und nichts, nichts berührt ihn außer vielleicht gelegentlich der eine oder andere Duschvorhang. Ich meine diese Menschen, die jedes bisschen Nervosität, Aufregung, Ärger von sich weisen – auf mich zurück weisen und sich so wortlos, klanglos jeder kleinsten Situation entledigen und dann sitzen sie in meinem Augenwinkel – immer schräger werdend und ich müsste mich schon ganz und gar in den Raum legen, um Teil davon zu sein. Schau, ich kann davon nicht Teil sein – auf mir liegen die Dinge – verstehst du? Auf mir liegen die Dinge und schwer, schwerer werdend, größer werdend – so den ganzen Körper einnehmend. Schau, auf mir liegt die Ordnung der Dinge schwer und ganz mit Absicht. Und selbst das kleinste bisschen Abwesenheit bohrt sich mir in den Leib. Auf mir liegt all das, was du jetzt von dir weist – auf mir liegt es lang und breit und erzählt Geschichten. Wenn du auch nur ein kleines bisschen (aber das ist ja Quatsch) – aber du müsstest schon Hallo sagen und wenn du nichts sagst – dann bleibt es eben das was es ist – nichts. Er sitzt also in der hintersten Ecke meines Augenwinkels mit einem Bier und einem Buch auf der aufgeklappten Bein-Knie-Bein-Komposition. Das sind durchaus sehr gute Zeiteinheiten: Bücher und das Leeren eines Glases – viel bessere Zeiteinheiten als z.B. darauf warten, dass du nicht tot bist oder frisch verliebt. Und ich bin sehr glücklich, dass ich in dem Zimmer mit den vielen Büchern schlafen darf. Schau, der Atem meines Daseins reicht für diese zwei drei gedrängten Gedanken nachts – und ein bisschen sich in Augenwinkeln umtreiben und lieben – lieben um zu schreiben. Dafür reicht es. Schau, die Tiefsinnigkeit eines durchgesessenen Sessels ist kaum auszuhalten.

 

Ich frage mich, ob M. jemals an diesen Punkt kommt – aber das ist auch Quatsch. Also dieser Punkt, an welchem ihm auffällt, dass ich nervös war.

0603

Wenn du kein Photo davon gemacht hast, ist es nie passiert.

 

Als ich dann endlich die Augen öffne, bin ich erleichtert. Es war nur ein Traum. Alles ist in Ordnung. Ich muss kein weiteres Mal in dir verloren gehen. Langsam wundere ich mich über die Sonne – wo Sonne ist, ist auch Licht.

 

S: Und die perfekte Frau?

 

M: Die perfekte Frau hat etwas Bedingungsloses – in ihrer Liebe zu mir und in allem anderen auch. Sie ist natürlich intelligent, kreativ … Leidenschaftlich, mädchenhaft – und kann sich unterordnen.

 

Weil ich ein Mädchen bin

 

Auf dem Weg durch die Pragerstraße kam mir in den Kopf, dass ich Heute nichts an mir hatte, das in irgendeiner Art nach Aufmerksam verlangt hätte – dass ich tatsächlich kein Mensch bin, dem Aufmerksamkeit gehört. Etwas in meinem Schritt verlangsamt sich – leiden heißt vertreiben und es lässt sich nicht vermeiden dass dus wieder machst – ich will nicht stehen bleiben. Ich bleibe stehen. Ich hebe den Kopf und natürlich ist die Straße leer. Die Pragerstraße ist immer leer. Deine Haare sehen aus wie das Gefieder eines Raben. Und deine Lippen sind wieder gesprungen von den Nächten, die du wach lagst – Mädchen. Weil ich ein Mädchen bin. Kann ich nicht die Dinge sagen und beiße mir auf die Lippen – oder du, du beißt mir auf die Lippen, wenn ich nichts sage. Weil ich ein Mädchen bin. Ich mache nicht kehrt – ich gehe weiter. Ich denke an meine Großmutter – ihre Lieblingsfarbe ist Rot. Ich denke an den roten Lippenstift, den sie mir noch vor ein paar Wochen auf den Tisch gestellt hatte, zwischen die Tasse Kaffee und dem Stück Kuchen. WEIL NIEMAND WEIß, DASS ES UNS GEGEBEN HAT BABY. Ich denke an die Raben und ihr warmes Gefieder glänzend gegen den Himmel – die Raben sind keine Vögle. Sie bleiben auf dem Boden. Der rote Lippenstift steht jetzt vor meinem Badezimmerspiegel. Wir haben uns lange angeschaut. Es ist ein sehr dunkelgrelles Rot, wie es vielleicht die Karnevalmädchen tragen. Es ist ein sehr dunkelgrelles Rot und ich stelle mir vor, wie es an dem Zigarettenfilter klebt oder an den Zähnen, dass es sich womöglich über die ganze vorderer Zahnpartie verteilen würde – oder es würde in die Mundwinkel fließen. Meine Großmutter sagt: Männer brauchen was fürs Augen – deinen Intellekt sieht man ja nicht. Sieht man nicht. Sieht man nicht in den Augen. Sieht man nicht in den Dingen. Die Pragerstraße ist immer leer. Dann muss man schon erst Mal den Mund auf machen und ich mache den Mund auf – mein Glied unterwirft sich der Diktatur deines Mundes, Baby. Es ist dunkelgrelles Rot, wie ich es mir immer vorstelle, wenn Klaus Kinski wild ist. Dann stehe ich vor dem Spiegel. Meine Großmutter sagt, ich brauche eine neue Frisur – ich solle zum Friseur gehen. Oder einen Hut. Ich solle einen Hut tragen und sie bringt mir eine kleine Auswahl aus ihrer Sammlung. Ich stehe vor dem Spiegel. Badezimmerspiegelschrank – ich besitze keinen Spiegelschrank aber manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre, wenn ich einen Spiegelschrank besitzen würde. Wir müssen durch den Spiegel gehen – weißt du. Und das geht nur, wenn da ein Schrank hängt aber da hängt kein Schrank und ich versuche mir meine Lippen mit dem wilden Rot vorzustellen und schaue sie lange an, diese Striche zwischen Nasenlachfalte und zulaufendem Kinn – ich verstehe euch nicht. Ich verstehe euch nicht und es sind viele kleine Rillen und jede stelle ich mir mit einem Riss vor – das macht viel mehr Sinn, wenn sie alle aufgerissen wären, die kleinen Rillen. Sie sind so klein, dass das Ganze auf der herzförmigen Fläche meines Gesichtes schon recht untergeht – mein Gesicht verschlingt die blasse Ahnung eines Mundes. Ich stehe vor dem Spiegel. Kontaktlinsen solle ich verwenden oder eine Brille, die meine Augen nicht verstecke. All das behauptet meine Großmutter. Dass ich ein Accessoire brauche – etwas Auffallendes. Ein auffallendes Zigarettenetui oder einen Armreif oder so – irgendeinen Gegenstand, der es leichter macht, mich anzusprechen. Den Intellekt sieht man ja nicht. Weil ich ein Mädchen bin. Weil ich ein Mädchen bin. ICH KANN AUCH NICHTS DAFÜR, DASS MICH NIEMAND SIEHT. Was bin ich optisch auf einer Skala von 1 bis 10. Ich stehe vor dem Spiegel – heute ist vielleicht so ein 3 bis 5 Tag – oder 3 bis 6 Tag – damit kann ich leben. Ich stehe vor dem Spiegel – dunkelgrelleroter Lippenstift auf der vorderen Zahnpartie. Ich stehe vor dem Spiegel und zähle die Punkte auf meiner Quartettekarte. Ich weiß nicht, wofür es Punkte gibt – vielleicht für den einen oder anderen netten Satz, blutroten Lippenstift oder einen Blowjob unter dem Cafétisch – ein blutrot verschmierter Lippenstiftschwanz. Dunkelgrellroter Lippenstift. Auf den Stummeln der letzten zwölf Zigaretten. Ich stehe vor dem Spiegel – ich muss abnehmen – das sagt nicht meine Großmutter, das sage ich. Und ich male einen Strich neben dem anderen – wie ich aussehen will und ich in meiner Vorstellung bin – einen Strich nach dem anderen – aus Strichen will ich mich malen. Aus Stricken. Aus Stricken will ich mich malen. Ich nehme manchmal auch die Schere und stelle mir vor, wie es wäre, wenn ich den einen oder anderen Bereich einfach abschneiden könnte – es müsste schon gehen – sich so einmal alles um den Bauchnabel abschneiden, oder in den Seiten oder die Beine ganz. Sich ausschneiden. Ich schneide mich an Stricken aus. An Stricken – und schneiden, bis ich daran ersticke. Ich will mich reduzieren – auf die wesentlichen Dinge reduzieren und so lange an mir schneiden, bis ich perfekt bin – nicht? Mit den dunkelgrellrotblut Lippen. Meine Großmutter sagt, ich solle mich anders anziehen – nicht diese H&M-Fetzen ohne Ausschnitt. Etwas Auffälliges – oder etwas – ja, etwas – weil ich ein Mädchen bin – etwas für meine Kurven. Etwas. Etwas. Etwas auf einer Skala von 1 bis 10 – ach, wir kämpfen um die Ressource nicht-alleine-sein. Ich stehe vor dem Spiegel. Bis sich der nächste in meinem Fleisch verbeißt und mich zu Ende denkt. Ich kann auch nichts dafür, dass mich niemand sieht, wie ich bin. Weil ich ein Mädchen bin.

0602

Der Weg ist in beide Richtungen störanfällig.

 

M. schaut auf meine Hände und will wissen, ob ich aufgeregt bin. Ich behaupte, meine Hände würden immer so zittern. Das ist normal, sage ich. Aber was normal ist, weiß ich nicht.

 

T: Ich wünsche mir Nähe und das ist kein Euphemismus für seelenlosen Sex.

 

S: Ja, schreib das. Das kauft sie dir bestimmt ab.

 

Ich liege mit Flo im Bett. Seine Arme umfassen meinen Hals fest. Ich will von ihm wissen, warum wir nicht zusammen sind. Wir lägen im Bett, wir seien zusammen, sagt er. Er lässt nicht los und das Mädchen schreit, ich will Luft. Wir liegen hier nur so aber zusammen sind wir nicht, sage ich oder denke ich – ich weiß es nicht mehr, die Ebenen verschwimmen in meinem Kopf und die meisten Gespräche führe ich nur unter der Dusche – ewig lange Duschmonologe. Wir liegen hier nur so aber zusammen sind wir mit Anderen – du immer noch mit der blonden Bohnenstange, für die du mich verlassen hast und in meinem Kopf habe ich sie liebevoll Pferdefresse getauft. Ich liege mit Flo im Bett. Seine Arme umfassen meinen Hals fest. Ich will von ihm wissen, warum wir nicht zusammen sind – warum wir uns nicht besitzen. Weil es nicht funktioniert hat, erinnerst du dich nicht? Seine Stimme verhallt in dem lichtdurchfluteten Raum – wer im Glashaus sitzt usw. Seine Stimme hallt auf dem Grund meines Bewusstseins – ich erinnere mich. Ich erinnere mich, nicht mehr ich zu sein. Ich will mind. zwei oder drei Personen gleichzeitig sein aber eigentlich so zwanzig, dreißig und es heißt immer: Sei ganz du selbst. Aber ich verstehe das nicht, weil ich immer ich bin und so tun soll, als wäre ich genau Eine. Die Eine. Wir sind nicht zusammen, weil ich nicht die Eine bin, weil ich nicht ich bin, wenn wir zusammen sind. Dann bin ich eine Folie zwischen deine Arme gepresst und du kannst nach belieben zudrücken – ein Stück Papier, das man in der Handfläche zerknüllt und wegwirft. Du hast vergessen, was du dir notiert hast. In den Gängen um unseren Glaskasten herum – ich will in Mitten deines Bildes sein – und in den Gängen um uns herum tragen die Frauen weiße Kleider und wollen sich zur Hochzeit eintragen lassen – zur Hochzeit.

 

Du bist alles, was ich brauche. Ich liege in mitten deines Bildes, zwischen das Schilf hast du mich platziert. Ich bin in aller Munde – auch in deinem. In diesem, deinem Mund. Ich bin in deinem Mund, der nichts anderes will, als dein Licht zu teilen. Ich bin nur eine Motte, die versucht, der Nacht zu entfliehen. Ich halte mich nur mit dir auf, weil es keinen anderen gibt.

 

Fallhöhe

 

Fallhöhe z.B., ist ein schönes Wort. Irgendwie. Es bedeutet die Distanz zwischen Menschen, wenn man sich vertut. Wenn ich aus Versehen vergesse, dass ich nicht Du bin. Und manchmal stürzt es auf mich ein – dieses Vergessen. Dann machst du große Augen und relativierst alles und mich. Letztens hat so ein Typ gesagt, meine Texte seien zu intellektuell – er sieht da bebrillte Studenten mit Reclamheftchen im Café sitzen und sich Notizen machen. Mir war Reclam schon immer zu klein. Und ich zähle die Tage, bis du mir endlich langweilig wirst und ich dich vergessen kann. Ich kann nicht anders, als immer alles zu erwarten. Ich kann auch nicht anders, als mir immer alles in Geschichten zu erzählen – ich kann nicht darauf warten, was du tun wirst. Du tust nichts. Fallhöhe sind diese Geschichten, die ich mir selbst erstammle immer wieder, weil ich den Text nicht kann. Ich kann den Text nicht. Ich kann nichts sagen – weil Stille bedeutet, dass ich unbedingt ganz viel sprechen muss. Ich muss ich sagen – immer wieder. Ich, ich, ich. Ich. Ich. Ich will es so häufig sagen, bis es seine Bedeutung verliert – es ergibt schon keinen Sinn mehr – ich. Aber die meisten Ich-Sager finde ich sehr hübsch – ich erzähle mir dann ihre Ich-Geschichten – ihre Nicht-Lyrischen-Ich-Geschichten. Ihre ganz banalen Ich-Geschichten. Ich. Ich. Ich denke an die Menschen, die weinen. Und Menschen, die ich sagen, weinen immer – ich kann es mir anders nicht vorstellen. Ich erzähle mir Geschichten von weinenden Menschen. Das beruhigt mich. Dann denke ich an mich. Und ich. Ich. Ich. Ich bin so wild nach deinem Ich. Ich – das ist diese Fallhöhe zwischen ich und ich. Subjekt-ich und Objekt-ich – sagt Hölderlin. Die Franzosen haben es leichter – die haben wenigstens je und moi. Jetzt bin ich schon wieder so intellektuell und intellektuell bedeutet distanziert. Weil mir zu jedem ich gleich ein Zitat einfällt – ich will dich zitieren. Ich will dich in Stücke reißen und alles neu zusammensetzten – so nach meiner ganz eigenen Geschichte neu zusammensetzten. Damit du mir nichts mehr erzählen kannst von den Dingen, die so sind und so. Ich weiß das doch alles. Ich – das ist diese Fallhöhe zwischen dir und mir. Das sind diese Geschichten. Immer wieder.

0601

Alle 11 Minuten verliebt sich niemand in mich.

 

Im Fernsehen sagen sie, es sei Sommer. Denke ich. Ich habe keinen Fernseher. Ich kann ihn nicht sehen, den Sommer.

 

Und wer im Glashaus sitzt, hat viel Licht – das verstehe ich nicht … das mit dem Glashaus habe ich noch nie verstanden. Die Kids auf der Straße fahren elektrische Mountainbikes, denke ich – es rattert. Das war so ein schöner Nachmittag. Ich bin geneigt aus meiner Trunkenheit heraus emotional schöne Dinge zu schreiben.

 

M: Ich beneide dich um deine neue Wohnung.

 

S: Warum?

 

M: Die Fensterfront.

 

S: Ja, das ist unwirklich.

 

Valentin deutet auf die einzige freie Fläche, die dem Raum noch zur Verfügung steht und behauptet, hier könne gut der Fernseher stehen. Ich zucke mit den Schultern, denn ich habe keinen Fernseher. „Ich habe keinen Fernseher!“ sage ich laut und deutlich. Die einzige freie Fläche, die dem Raum noch zur Verfügung steht. „Ich habe schon seit 10 Jahren keinen Fernseher mehr.“ sage ich laut und deutlich. Abends gehört der Spielplatz den Jugendlichen und wer im Glashaus sitzt, hat viel Licht. Valentin kann den Stolz in meiner Stimme kaum überhören. Das ist gut so – es ist wichtig, dass er es bemerkt, dass er bemerkt, dass ich Stolz bin. Ich bin ein stolzer Mensch. Ich bin stolz darauf, tausendfünfhundertdreiundzwanzig Bücher zu besitzen aber kein Regal. Ich staple die Bücher übereinander, gelehnt an die letzte freie Fläche, die dem Raum zur Verfügung steht. M. sagt, Besitzt macht nicht glücklich. Gerade rauscht der Berlin-Warschau-Express vorbei – er ist vorbei gerauscht. Warschau … was das wohl für eine Stadt ist? Ich kann sie mir nicht vorstellen. Ich will Luft, schreit das Mädchen. Ich will Luft.

 

S: In der großen Wohnung ohne Bücher fühle ich mich einsam.

 

M: Das gefällt mir: S. allein zu Hause.

 

S: Warum gefällt dir das?

 

M: Es st süß.

 

S: Oder erbärmlich.

 

Abschiedsbrief 13.04.2015

 

Schau, ich hatte gerade deinen Schwanz im Mund und jetzt schläfst du – das ist normal. Das nennt man: Nähe.

 

Nur mich macht diese Nähe krank. Ich hasse mich für jeden Moment dieser Nähe und jeden Typen der sagt: Du bist ganz nett, aber …

 

Aber. Aber. Ich habe diesen Satz auch schon ein paar Mal gesagt. Klar. Man sagt das schnell, wenn es nicht gefunkt hat. Und es funkt oft nicht.

 

Ich kann z.B. nicht verstehen, warum du jetzt schläfst.

 

Ich ertrage diese Berührungen nicht, die nur so tun, als wollten sie mir nahe sein – dieses einander streifen, aber sich nie ganz hergeben – dieses sinnlose gefickt werden ohne Gefühl.

 

Warum sich selbst behalten.

 

In meiner Vorstellung muss es möglich sein, sich gegenseitig im jeweils Anderen zu verlieren und zu finden – in Einem, zugleich. (Platon, Kugelmenschenschwachsinn)

 

Das klingt so, als würde ich mich der Andren wegen umbringen. Aber ich bringe mich der Nähe wegen um. Sie existiert nicht. Ganz ohne Metapher: Sie existiert nicht.

 

Was ich bis zum Ende meines Lebens nie verstanden habe: Die Asymmetrie zwischen durch-einen-anderen-Menschen auf die Welt kommen und von allen Anderen im eigenen Ich getrennt sein.

 

Ich bringe mich der Nähe wegen um. Weil es mir das tiefste Bedürfnis ist, die Welt und die Menschen zu durchdringen, mit all dem Eins zu werden, was nicht Ich ist. Einheit. Einheit ist unerreichbar.

 

Deshalb lese ich gerne. Ich liebe Bücher, weil sie mir das Gefühl geben, ich kann die Gedanken eines Anderen ganz und gar durchdringen. Aber dann schaue ich auf meine Hände – auf das Buch. Es ist ein Gegenstand. Und ich bin nicht das Buch.

 

Mein Ich – so ein Ich – das kann doch in diesem Getrennt-sein von allem anderen keine Erfüllung finden. Klar, man kann sich in sich selbst verlieben – und davon überzeugt sein, dass die ganze Welt einen liebt – glücklich sind die Narzissten und ich bewundere sie sehr.

 

Sei ganz du selbst.

 

Wenn ich ein Narzisst wäre, würde ich mir selbst vielleicht genügen. Aber ich genüge mir nicht.