Foto: Luca Maximilian Kunze
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80% des eigenen Erfolgs ist das Scheitern der Anderen IV

Ich rief Simone an. Plärrte ins Telefon, sie solle kommen und beim Türken um die Ecke Fladenbrot und Cola holen, ich hätte seit Tagen nichts gegessen. Sie antwortete, ich soll meine peinliche Fresse halten und mich zusammenreißen, sie würde nach der Arbeit vorbeischauen.
Sie blieb eine Weile und arbeite von mir daheim. Auch sie ist so verdammt wichtig, mit ihrem Job und Firmenhandy und keiner weiß, woher das kommt überhaupt. Aber sie war da und sie blieb und das war schon ordentlich von ihr. Wenn sie telefonierte, klang ihre Stimme ganz anders, so, dass ich mich fragte, ob diese Person überhaupt jemals Dosenbier trank, oder mit mir gemeinsam die Forumsleute als verpickelte Looser und fette Huren beschimpfte. Aber das war alles schon länger her und eigentlich wusste ich auch nicht, wann wir das zuletzt gemacht hatten.
Ich wunderte mich, ob es Simone überhaupt interessierte, dass ich da war und sie inmitten eines Haufens an Dreck und ungewaschener Wäsche saß, während sie ihr Ding machte. Vielleicht blieb sie auch deswegen. Weil sie im Kontrast zu mir so viel geiler rüberkam. Aber vielleicht steigerte ich mich rein. Vielleicht sollte ich einfach froh sein, dass noch irgendwer bereit war, sowas für mich zu machen. Oder irgendwas für mich zu machen. Fast hätte ich wieder zu heulen begonnen, aber vor Simone traute ich mich nicht.
Während sie telefonierte und in den Computer tippte, saß ich meistens auf dem Boden und lackierte mir die Fußnägel, lackierte auch ihr die Fußnägel. Begann mir die Haare einzeln mit der Pinzette aus den Beinen zu reißen, starrte an die Decke und lag auch ein bisschen im Bett. Simone ignorierte mich und das war gut. Nach drei Tagen und vielen Essenslieferungen wurde ich langsam wieder normal.
Ich ging mich waschen und auch mal zum Bäcker, um Kaffee zu holen. Draußen auf der Straße bekam ich Stiche in der Brust und nach 30 Metern musste ich stehen bleiben. Die Leute gingen einfach um mich herum. Ich störte gar nicht, sie wanderten weiter, als wäre ich eine Litfasssäule oder ein großer Haufen Hundescheiße. Ich stand da und war kurz davor, zu keuchen und auszuticken. Das Klacken dieser Business-Highheels machte mich fertig und die glattrasierten Typen sowieso. Als ich dachte, es geht echt nicht mehr, stand Simone plötzlich neben mir. Sie hatte ihr Handy in der Hand und trug immer noch dieselben Klamotten von vor drei Tagen, sie hatte sich ja nicht umgezogen. Sie telefonierte mit ihrem Boss, sagte in einem Moment todernst was von Quartalsreport und im nächsten nahm sie mich am Arm, deckte den Hörer ab und flüsterte mir zu, bei Gott, ich werd dich dreschen, wenn du nochmal sowas machst, ich musste fünf Bücher in die Tür klemmen, du hast ja den scheiß Schlüssel. Dann telefonierte sie weiter als wäre nichts und ich starrte sie an wie ein Kalb. Mir schoss ein, reiß dich zusammen, das ist wirklich peinlich, und ja, du hast den scheiß Schlüssel.
Das war vor dem Abschluss. Keine Ahnung wie ich das gemacht habe. Ich begann um sieben aufzustehen und ging in die Bibliothek, statt im Bett zu weinen, und das war eigentlich schon die halbe Miete.
Langsam wurde es auch endlich warm. Simone ließ mir regelmäßig Geld da und gab Richard meine Adresse. Sie kamen abwechselnd und schauten, ob ich mich eh nicht im Bad erhängte. Tatsächlich sagte das Richard einmal, als ich ihn nicht sofort raufklingelte: Ich befürchtete das Schlimmste! Und ich sagte, halt die Fresse, du Wixer, und dann lachten wir, weil zwar nicht alles gut war, aber endlich war es weniger schlimm.
Ich duschte auch jeden Tag. Begann wieder im Forum zu schreiben, aber nur so ein bisschen und nebenbei, während ich den Lebenslauf machte und Arbeit suchte.
Ich holte wieder die Hängematte raus. Meistens lag nur Richard darin und rauchte Zigarre, weil er dachte, das gehört sich so. Irgendwie ging es mir zwar auf die Nerven, aber es war zum Aushalten. Ich dachte irgendwann an die Sache mit dem Universum und erzählte Richard und Simone davon, aber nicht gleichzeitig, weil sie waren ja nie gemeinsam da, wegen der Trennung und so. Ich bekam das Gefühl, dass sie es beide nicht komplett behindert und kindisch fanden. Ich hörte auf, mit Simone über die Leute aus dem Forum zu reden, und fing stattdessen bei ihr in der Firma an. Ungelogen hatte ich echt Angst, aber sie sagte nur, reiß dich zusammen, das wird schon. Dann verging ein Monat und wir tranken Schnaps in der Mittagspause, um darauf anzustoßen und mussten blöd lachen. Nachher wäre ich fast aufgeflogen, aber das war es wert. Das war dann schon im Sommer.
Ich zahlte auch Richard zur Abwechslung einen Kaffee. Er erzählte mir da, dass die Leute es nicht besser wissen, oder vielleicht wissen sie es schon, sie können aber nicht proaktiv deswegen sein. Das war, weil er wieder so klug reden wollte um mich zu beeindrucken, aber ich sagte nur: scheiß drauf, scheiß auf die Leute, lass uns über ordentliche Dinge reden. Er schaute verlegen in seinen Kaffee, aber als ich fragte, noch einen, nickte er und dann fiel mir auf, dass er seinen dämlichen Bart abrasiert hatte. Gut so.

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