Foto: Luca Maximilian Kunze
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Keblatt genießt die Einsamkeit, die ihr im Augenblick vergönnt ist. Keine Schüler, kein Scheel, sondern nur sie und ihr, - ja, tatsächlich - Interesse, dem sie ungestört frönen kann. Nach der gemeinsamen Besichtigung der Pathologie und Krankenrevierbaracken fasste sie den ihr kühn erscheinenden Entschluss, der Klasse zu gestatten, sich frei und nach eigenem Belieben auf dem Gelände umzusehen. Möglicherweise nur deshalb, weil sie es satt hatte, in ängstlicher Erwartung eines schülerinduzierten Sittenverstoßes zu sein; oder vielleicht auch bloß ob der ihr nahe liegend erscheinenden Annahme, dass keiner ihrer juvenilen Hasenhirne imstande sein würde, den an Denkmuskelschwund leidenden Scheel hinsichtlich Feingefühl und Reflexionsvermögen zu unterbieten.

Eines muss Keblatt diesem Mann ja lassen; dank seiner stolz dargebotenen geistigen und emotionalen Fäulnis ist ihr zu Bewusstsein gekommen, wie unaufgeklärt die sich aufgeklärt wähnenden Deutschen wirklich sind und wie salonfähig die Ablehnung gegenüber der Gedenkkultur mittlerweile geworden ist. Es gibt viele Denkmäler, die mitunter eine gesellschaftliche Auseinandersetzung beglaubigen sollen, und noch viel mehr Menschen, die das Gedenken damit für abgeschlossen halten.Wieder und wieder hört Keblatt diesen unsäglichen Satz, es muss doch endlich mal Schluss sein. Ist sie masochistisch genug, sich zu erkundigen womit, erzählt man ihr stets und ständig irgendetwas von Schuld. Jawohl, mit der Schuld soll's genug sein! Das alles war doch lange vor der eigenen Geburt! Wie kommt es, wundert sich Keblatt, dass so viele Deutsche gedenken mit Schuld entweder verwechseln oder gleichsetzen?

Sie kam heute ausschließlich mit Befürchtungen statt Ansprüchen in diese Gedenkstätte. Ob die Kinder Desinteresse zeigten oder Anteilnahme, war für Keblatt unerheblich. Sie versuchte mit dem Schicksal, mit Gott, einem spekulativen, metaphysischen Etwas zu verhandeln, indem sie sich damit einverstanden erklärte, sowohl Aufmerksamkeit als auch Gleichgültigkeit seitens der Schüler hinzunehmen, wenn im Gegenzug dazu keiner von ihnen sittlich entgleiste.

Bis Scheel plötzlich die Bühne betrat und wie all die anderen, die meinen, es müsse doch endlich mal Schluss sein, damit anfing, sich über das angebliche Einflüstern einer Schuld zu empören. Keblatt schüttelt sich. Nein, und nochmals nein! Ihre kleinen törichten Hormonbomben sollen niemals so werden wie dieser Mann. Sie sollen lernen, Werte zu erkennen, zu schätzen und zu schützen; Sie sollen lernen, der Versuchung zu widerstehen, Schreckliches zu relativieren und mithin zu verharmlosen. Sie sollen sich ihrer Verantwortung bewusst werden und ihr nachkommen. Und verdammt nochmal, statt Kippen sollen sie ihre Scheißegalhaltung austreten - dann wachsen diese rastlosen Kreischfuchteln wenigstens noch ein paar Zentimeter.

Auch wenn sie Lucas heißen, Robin oder auch Stefan. Keblatt macht keinen Hehl daraus: Häufig empfindet sie nur Ablehnung gegenüber den dreien. Dabei weiß sie, dass sie weniger Verachtung als vielmehr Zuwendung, Formung und positiver Beispiele bedürfen - all das, was ihr Elternhaus vermissen lässt. Es steht nicht in Keblatts Macht, die Jungs umzuerziehen; zumindest aber möchte sie ihnen eine Alternative anbieten zum Stammtisch und Wertverfall.

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