Foto: Luca Maximilian Kunze
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Keblatt ist überrascht, wie sittsam und ruhig es bisher zugeht. Selbst von Stefan, Robin und Lucas, den nach Stimmbruch lechzenden Vorhautfummlern, sind noch keine Zwischenrufe gekommen. Wüsste sie es nicht besser, beliebte sie beinahe von einem tatsächlichen Interesse ihrer Schüler auszugehen. Aber was sollen die Konjunktive. Es ist doch im Grunde klar, dass es den Bälgern weniger um die NS-Verbrechen und die anstehende Exkursion geht, als um die bloße Tatsache, dass die von ihnen hoch anerkannte Geschichtenerzählerin vorne steht und referiert wie anno dazumal im Deutsch-Unterricht. Keblatt grinst: Noch nicht einmal alt genug, um Mofa zu fahren und schon jetzt der Vergangenheit hinterher trauern, na toll.

Dann gab es das Schuhkommando, berichtet Kaufmann, das auch nicht mehr und nicht weniger war als eine Strafe für die Häftlinge. Anja reckt unvermittelt ihren Zeigefinger in die Höhe, schüttelt ihn erbittert und beugt sich beinahe über die gesamte Bank, als wollte sie wie ein Besoffener über eine Balustrade kotzen. Mein Gott, Mädchen, wir sehen dich schon, denkt Keblatt. Nun ist es bereits die dritte Wortmeldung, mit der Anja Frau Kaufmann unterbricht und zu berichtigen gedenkt. Keblatt kann es kaum mitansehen und fühlt sich nahezu mitverantwortlich, dass ihre erlauchte Kollegin im Ruhestand mit der Profilneurose einer insgeheim hoffnungslos an sich zweifelnden Besserwisserin konfrontiert wird. Kaufmann aber scheint es wie die beiden Male zuvor gelassen zu nehmen und erteilt Anja das Wort. Ich wollte nur sagen, eigentlich heißt es Schuhläufer-Kommando, das im Lager eingesetzt wurde, um auf der Schuhprüfstrecke Schuhe testen zu lassen, sagt Anja, ihr Wissen darbietend, aber wie Sie schon sagten, es war eine Strafabteilung, innerhalb derer täglich etwa um die zehn bis zwanzig Häftlinge starben, weil sie kaum zu Essen hatten und unter schwerem Gewicht kilometerlange Strecken laufen mussten. Getuschel erklingt. Wahrscheinlich zerreißen die sich hinten schon das Maul, spekuliert Keblatt und schaut zu Kaufmann, die mit bewundernswerter Abgeklärtheit anmerkt, Na, Anja, jetzt hast du mir wieder ein Stück Arbeit abgenommen.

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