Foto: Luca Maximilian Kunze
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Du beschäftigst dich zu sehr mit so schwerer Kost, merkt Jeannes Vater an, der am Herd steht und die Sauce anrührt. Es klingt fast wie eine Kritik. Jeanne verteidigt sich, Ich habe mir ja nicht ausgesucht, dass wir nach Sachsenhausen fahren. Außerdem stimmt das so ja auch nicht. Sie setzt sich an den Küchentisch und schaut ihrem Vater beim Rühren zu. Ja, okay, aber das habe ich ja auch nicht gesagt, wendet derselbe ein, Ich meine nur, dass du, seit dem das feststeht, wieder von nichts anderem mehr redest als von Vergasungen, Leichenbergen und wandelnden Halbtoten. Du sagst, es macht dir Angst und guckst dir dann dauernd solche Bilder an. Das verstehe ich, ehrlich gesagt, dann immer nicht so wirklich. Nein, protestiert Jeanne, ich gucke mir nicht nur Bilder an, ich lese vor allem auch Artikel bei Wiki oder sonst wo. Der Vater lacht, Okay, und du liest halt noch Artikel im Internet dazu. Das widerlegt aber jetzt nicht, was ich sage, Mäuschen, merkste? Ich finde das halt einfach, Jeanne sucht nach Worten, … keine Ahnung; irgendwie bewegt mich das immer wieder, weil das total heftig ist. Warst du schon mal in Sachsenhausen? Der Vater wechselt mit einer Plastikschale in der Hand zur Spüle und dreht den Wasserhahn auf, Ja. Ich war auch in Ravensbrück und in Buchenwald. Echt, alle drei? Jeanne ist erstaunt, dass ihr Vater das bisher noch nie erwähnt hat. Allerdings ist es auch typisch für ihn. Stellte man ihm keine Fragen und bohrte man nicht etwas nach, spräche er nur über die Dinge, die gerade passieren. Insgeheim bedauert Jeanne dies immer ein wenig, gibt es doch eigentlich viel Interessantes, worüber er erzählen könnte. Ja, bestätigt der Vater, in Ravensbrück hatte ich sogar meine Aufnahme in die FDJ. Aber doch nicht auf dem KZ-Gelände selbst, oder? hakt Jeanne ungläubig nach. Der Vater kehrt zum Herd zurück. Na ja, ja, doch, natürlich auf dem Gelände. Die Lager waren in der DDR häufig Orte für zeremonielle Veranstaltungen. Jeanne schüttelt Kopf, als wollte sie sich ihrer Verwirrung entledigen, Aber was hat denn die FDJ mit Konzentrationslagern zu tun? Wo ist denn da ein Zusammenhang? Hä? Der Vater stellt den Herd aus und gießt die Kartoffeln ab, Na, der Schwerpunkt im Geschichtsunterricht und bei solchen Ausflügen lag immer auf dem Kommunismus und auf die politischen Opfer. Du brauchst da jetzt nicht denken, dass da viel über die Juden gesprochen wurde. Im Grunde waren die überhaupt kein Thema. Ohne sich bitten zu lassen, steht Jeanne auf, um den Tisch zu decken, Also war das im Grunde nur … na, wie sagt man … Propaganda? Der Vater bejaht. Aber wurden die jüdischen Opfer wirklich so gar nicht erwähnt? Nee, weil, das war halt eine ganz ideologische Geschichte, antwortet der Vater, es ging primär um die Opfer auf kommunistischer Seite; die Juden und die Lager im Osten, davon erfuhr man nur ganz wenig. Man muss dazu sagen, dass Juden auch im Kommunismus kein allzu hohes Ansehen hatten; nicht zuletzt, weil die Kommunisten beim Nahostkonflikt hinter Palästina standen. Mit Palästina war man ganz dick. Jeanne weitet die Augen, was, ernsthaft? Ja, Arafat, das war der allerbeste Freund hier im Osten, entgegnet der Vater. In seiner Stimme hallt Spott. Und waren die Juden dann quasi auch im Kommunismus ein Feindbild? fragt Jeanne. Der Vater stellt die Emailletöpfe auf den Tisch, Das kann man so nicht sagen. Also es gab schon so eine Art Missbilligung, aber man bezog das nicht auf die Religionszugehörigkeit, sondern nur auf den Staat Israel – zumindest hat man das behauptet.

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