Foto: Luca Maximilian Kunze
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In den Augen kann man sie sehen, die Einsamkeit – am Passieren. Darin sind wir verbunden. Ich müsste darauf vorbereitet sein. Es trifft mich immer sehr überraschend – dieser Blick. Ich weiß, du bist allein. Ich weiß, ich kann nichts daran ändern. Mir bleibt dann alles im Hals stecken – Leben und so. Heute war es so ein älterer Kerl mit dunklen, schwarzen Haaren und Augen – er löffelte im Laufen Eis aus einem Becher und sah kurz auf, sah mich kurz an. Da hast du mir deine Einsamkeit gegeben und etwas älterer Kerl mit dunklen, schwarzen Haaren und Augen in 80er Jahre Poloshirt. Und um ganz eintreten zu können, muss man durch die Oberfläche – also bin ich außen weich und innen hart. Ich bin sehr viele und für jeden eine. Wenn ich nicht ich wäre – aber ich bin es nicht. Ich bin nicht ich. Ich existiere nicht. Das erste Mal passierte es mit der alten Dame am Tisch – ich habe es Henry erzählt:

 

[…]

 

„Als ich noch klein war – “ sagt Norah „keine Ahnung – vielleicht 10 oder so – es war irgendein Geburtstag – vielleicht der von meiner Mutter? Oder meine Großeltern – auf jeden Fall waren ganz viele Verwandte da – alle – wir waren eine riesengroße Gesellschaft in einem Restaurant und es war laut und belebt an unserem Tisch – irgendwann fällt mein Blick auf den Tisch neben an.“ Während sie spricht, umspielen ihre Finger unentwegt die Rillen des schmalen Tisches, ihr Blick liegt tief, ihre Worten kommen nur langsam, etwas träge. „Am Tisch neben uns sitzt eine Frau, alt – 50 vielleicht – keine Ahnung und sie war dick, nein fett, wirklich richtig fett aber vor allem war sie allein und noch im selben Moment gab mir ihre Wahrnehmung Tränen ein – verstehst du? Ich weinte – es machte mich traurig, sie zu sehen – allein! Sie war allein und vor ihr Essen. Es machte mich traurig, einen Menschen zu sehen, der alleine war, der alleine essen musste, wo ich, wo wir doch in dieser Gesellschaft waren.“ Sie hatte im Laufe ihrer Worte die Finger immer tiefer in die Rillen gebohrt. Nach einem kurzen Moment der Stille hebt sie den Kopf, ihr Blick taste nach meinem, krampfig zieht ein Lächeln auf ihre Lippen. „Naja – egal.“ und wieder liegt ihr Blick auf der Tischplatte, auf ihren Fingern schon ganz weiß die Rillen umklammernd. Das sagte sie oft – Naja egal. „Und dann bin ich plötzlich 20 Jahre älter, sitze in Berlin und all meine Freunde sind in Beziehungen, glücklich oder weniger glücklich – egal – und ich habe immer vom Mitsein gelabert aber für jemand anderen Dasein ist nicht möglich, vielleicht geht ein bisschen Mitsein aber auch das ist nie genug – ich sehne mich nach dieser unmöglichen Auflösung in einem anderen Menschen – in dieses tiefe Nichts fallen – aber jede weitere Begegnung nimmt nur ein Stück meiner Seele mit und für mich bleibt diese Kerbe.“ Noch immer gehen ihre Finger durch die Rillen – fuhren langsam über die Lücken. „Und dann sagen sie – du auch – ich sei zu sensibel – ja, vielleicht – aber was ändert das an meinem Gefühl? Was ändert das an diesem Loch? An dieser Einsamkeit – und dann frage ich mich, ist nicht jeder einsam – immer? Aber es funktioniert nicht – egal wie, wir können uns unsere Einsamkeit auch nicht nehmen, nicht gegenseitig – und wie viele habe ich selbst abgewiesen und doch auch mit diesem Wissen – weißt du Henry, manchmal habe ich einfach genug davon. Ich bin es leid, es nicht wert zu sein.“

 

[…]

 

Aber was niemand weiß: Ich existiere nicht. Mich gibt es nicht. Ich habe alle meine Ichs irgendwo verteilt aber mich – mich gibt es nicht. Insofern hat Herr T. recht – ich bin es nicht. Ich bin nicht ich. Oder anders … ich weiß eben immer, wer ich sein sollte. Das ist meine Krankheit.

 

Ich habe noch immer den Riss im Display. Mit Valentin bin ich die Frau für gemütliche Stunden. Serien schauen, Corneflakes futtern, gemeinsam fett werden. Er braucht das – er braucht diese Ruhe, dieses Nichtstun – weil alles andere ist so furchtbar anstrengend. Er behauptet, er mag mich, wie ich bin. Das ist einer dieser Sätze, den ich höre, weil ich ihn selbst gerne sage. Aber es stimmt nie. Vielleicht ist Liebe diesen Satz so zu hören, dass ich ihn glauben kann.

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