Damit ich so tun kann, als wäre ich ein Mensch, der ein Leben hat.
Plötzlich kommt mir die Straße in den Sinn, die wir damals gefahren sind zwischen deinem Heimatdorf und dem anderen Dorf – ich weiß nicht mehr, warum wir immer diese Straße gefahren sind – vielleicht war es auch nur der Weg vom Bahnhof. Mir kommt diese Straße in den Sinn mit der etwas harten Kurve und ich hatte immer dieses Gefühl, diese Erinnerung – es ist mehr eine Erinnerung als ein Gefühl, es müsste sehr gefährlich sein, hier zu fahren, diese Straße entlang zwischen den Dörfern, diese Kurve müsste gefährlich sein – ich hatte immer diese Phantasie, wir wären damals zu schnell gefahren, in die Kurve zu schnell, aus der Kurve zu schnell und es hätte uns in den Graben geschleudert und wir wären zusammen gestorben.
Ja, Flo – oder Florian oder F. oder Flojan (wie ich dich immer genannt habe und du hast es gehasst, wenn ich nicht jeden Buchstaben für sich ausgesprochen habe). Ja, F. – wir wären damals gestorben. Und man hätte uns gemeinsam begraben.
Oder M. oder T. oder Valentin oder Marlon. Wir wären zusammen gestorben. Aber so nicht. So stirbt jeder für sich allein.
Ich flehe dich an, sei nicht so – bitte! Weis mich jetzt nicht von dir. Usw. Floskeln.
Ein komplett leerer Doppeldeckerzug rauscht an mir vorbei. Ich könnte jetzt Sinnbild darüber schreiben – oder besser noch: Leben. Ich könnte eine Metapher daraus machen. Aber es ist nur ein komplett leerer Doppeldeckerzug mitten in der Nacht.
Ich habe mich mal in einen Typen verliebt, weil – und tatsächlich nur deswegen – er ein Schild an seiner eigenen Waschmaschine angebracht hat mit der Aufschrift Defekt – damit er nicht vergisst, dass sie kaputt ist.
Der Abschiedstanz beginnt mit dem immer gleichen Satz in seinen unzähligen Variationen: Du wirst immer eine wichtige Person für mich sein.
Aber das stimmt nicht. Man trennt sich und dann vergisst man sich.
Manchmal finde ich es absurd, dass T. wahrscheinlich der Mensch in meinem Leben sein wird, mit dem ich am längsten Kontakt gehalten habe.
Ich würde mich gerne umbringen. Ich kann es nicht aber ich will es so unbedingt. Ich will einfach nicht mehr leben. Ich verstehe dieses Leben nicht, ich verstehe mich nicht. Ich kotze jede scheiß
Nacht meine Seele aus dem Leib, weil ich dieses grausame Leben nicht verstehe. Ich weiß nicht, warum ich mich selbst so sehr hasse. Es ist einfach da. Es kommt von ganz tief drinnen und es macht
mir dieses starke Bedürfnis, mich ein Mal komplett umstülpen zu müsse, nur um zu wissen, ob da irgendwo vielleicht doch ein Mensch ist. Es ist einfach da und dann versuche ich, es auszukotzen
aber dann in der nächsten Nacht ist es wieder da und dann wieder und dann wieder und dann wieder. Und mein Leben ist nur Schein. Es ist ein Abbild dessen, wie ich mir ein Leben vorstelle – Dinge
tun, Menschen treffen, sich beschäftigen so lange es hell ist. Aber ich lebe nicht. Ich bin das nicht. Das ist eine Vorstellung, ein Abbild von mir, eine Rolle, die ich nach Außen spiele. Damit
niemand sieht, wer ich wirklich bin. Denn ich bin dieses kotzende Mädchen und mehr nicht. Ich bin dieser Mensch, der kein Mensch ist, weil mein Wesen ist einzig und allein Selbsthass und das ist
kein Mensch, das ist kein Leben. Und ich bin so krank, dass ich diese Worte, die ich gerade geschrieben habe, jetzt nicht so stehen lassen kann – sondern ich muss sie nehmen und daraus Literatur
machen. Das ist mein erster Impuls. Damit sie ihre Macht über mich verlieren. Damit ich zurück kann hinter die Maske und tagsüber so tun kann, als wäre alles okay und als wäre ich ein Mensch, der
ein Leben hat.
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