Foto: Luca Maximilian Kunze
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0616

Ich sehe meine Kindheit und wie ich als kleiner Junge dachte, niemand sieht mich, wenn ich die Augen schließe.

 

John. Dann schaue ich ihn an, wie er so ganz zu verschwinden droht in seinem dicken Pullover und dem Schal, der auch eine Decke sein könnte. Wie er sich ganz in diesen Stoff hüllt – und ich wäre gerne dieser Stoff, dieser Pullover. Ihn einfach ganz umschließen können, ihn ganz in mir aufnehmen können, ihn mit meinem Sein umschließen … Wärme. Ihn ganz in mir verschwinden lassen.

 

Ich verliere kein Wort. Kein unnötiges Wort verlieren. Wir starren uns an. Von der einen Wand zu anderen starren wir uns an. Dreh mir eine Zigarette, denke ich. Er dreht eine Zigarette, zündet sie an – er hat den Platz am Fenster also kann er rauchen. Ich habe den Platz an der Tür.

 

Deine Abwesenheit nimmt sehr viel Raum ein. Ich will mich … ich will mich. Ich will mich vollkommen umstülpen, von Innen nach Außen. Haha. Ja. Lächerlich. Einfach da-zu-sein. Ich lege dir ja schon alles hin – so mein Sein zu deinen Füßen und so.

 

Schon seit einer Weile … mein Beschluss steht fest. […] Ich spreche nicht. Es ist ruhig. Die Playlist ist zu Ende. Der letzte Song war Do you know what I mean. Ich bleibe einen Moment dabei stehen – das ist kein guter letzter Song. Ich kann nicht gehen so lange dieser letzte Song im Raum steht.

 

John. Er würde sehr genervt schauen, wenn ich jetzt sage: Das war kein guter letzter Song. Das rückt alles in eine seltsame Bestimmtheit. Er würde genervt schauen aber hinaus zum Fenster – so dass ich es nicht sehe. Er ist genervt von mir und meinen Vorwürfen. Es sind keine Vorwürfe – er versteht mich falsch – es sind nur meine Empfindungen, meine Wahrnehmung. Ich will sagen: Was ist daran falsch?

 

Es ist im Allgemeinen kein guter Abend um in Gesellschaft zu sein. Ich hätte lieber sagen sollen: Ich will, dass du mich wahrnimmst. Oder besser: Nimm mich wahr. Ganz wahr. Wahrheit wahr. Oder: Ich bin ein echter Mensch.

 

John könnte ganz in mir verschwinden, wenn ich nur lange genug schweigen. Ich könnte ganz vergessen, dass er ein anderer Mensch ist. Wenn ich nur lange genug nicht da bin, könnte John und dieser absurde Moment irgendwann in mir verschwinden.

 

Jeder zwischenmenschliche Moment endet irgendwo hier – irgendwo hier in mir drin. In den Ecken, also in den Ecken sich gegenüber sitzend und nächstes Mal brauche ich den Platz am Fenster. Ich sei zu extrem. Ich verlege mich in seine Worte – nur in diese, die mein ganz eigenes Gefühl, unzureichend zu sein, unterstützen.

 

Ich will dein Pullover sein, John. So einfach ist das. Er schließt die Augen wenn ich lange spreche – dann verschwindet er. „Ich sehe meine Kindheit und wie ich als kleiner Junge dachte, niemand sieht mich, wenn ich die Augen schließe.“

 

Es zieht John. Es zieht ganz furchtbar in alle Richtungen. In mir ist immer dieser Zug. Ich sitze an der Tür, ramme die Worte in meine Lippen die bald bluten. Irgendwann wird John fragen, ob ich mich beruhigt habe und ich werde nicken. Ich bin ganz ruhig. Wenn ich lange genug ruhig bin, werde ich irgendwann in mir verschwinden.

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