Foto: Luca Maximilian Kunze
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0607

Die Geschichte zum Täter machen.

 

Wenn ich nicht ich wäre, würde ich Sie heiraten. Herr T. schreibt solche Dinge. Es ist, um mich wütend zu machen aber wahrscheinlich meint er es nett oder lieb oder liebevoll. Valentin erschrickt, als ich das Handy gegen die Wand schmeiße. Er steht auf, im Bücken schaue ich ihm auf den Arsch (ich bin kurz überlegt, ihm das zu sagen, schweige aber dann) – das Glas der Oberfläche ist gesprungen. Er will wissen, ob das jetzt wirklich notwendig war. WENN ES NICHT NOTWENDIG GEWESEN WÄRE, HÄTTE ICH ES NICHT GETAN. Schreit mein Bewusstsein – ich schweige. Mir gefällt das gesprungene Display, die Worte verziehen sich. Wenn ich nicht ich wäre, würde ich Sie heiraten. Das trifft auch auf mich zu – insofern ist es eine wahre Aussage. Wenn ich nicht ich wäre, würde ich mich heiraten. Valentin ist ja noch da – Schluckauf. Er ist ein Mensch. Er ist ein anderer Mensch. Das Gefühl seines Menschseins erschreckt mich zutiefst. Ich will verschwinden.

 

Ich schreibe M. einen Brief ohne Ansprache. Ich schreibe ihm, es sei schön, dass er schreibe obgleich er nicht geschrieben hatte. Ich mache einen Witz. Gerade wäre ich nach Hause gekommen, schreibe ich ihm, nach Hause von der Hochzeit. Ich frage mich, wie viele literarisch bedeutende Briefwechsel der Nachwelt verborgen bleiben werden allein wegen des Internets. Ich habe an ihn gedacht, schreibe ich. Das stimmt nicht. Ich schreibe es dennoch – es klingt nett. Ich schreibe: Es war ein wirklich schönes Fest und ich freue mich für meine Freundin und meinen Freund, dass sie zusammen gefunden haben und so eine herzliche Runde zusammen stellen konnten mit all den Menschen, die ihre Freude teilen. Aber mir ist ein weiteres Mal aufgefallen, wie seltsam ich Beziehungen finde. Ich unterbreche meinen Brief um aufzustehen und Erich Fromm zu suchen. Er ist in einer der zehn, zwölf Kisten – ich weiß natürlich nicht in welcher. Aber ich will jetzt ganz dringend Erich Fromm lesen! Man findet oft zwei Verliebte, die niemanden sonst lieben. Ihre Liebe ist dann in Wirklichkeit ein Egoismus zu zweit; es handelt sich dann um zwei menschen, die sich miteinander identifizieren und die das Problem des Getrenntseins so lösen, dass sie das Alleinsein auf zwei Personen erweitern. Sie machen dann zwar die Erfahrung, ihre Einsamkeit zu überwinden, aber da sie von der übrigen Menschheit abgesondert sind, bleiben sie auch voneinander getrennt und einander fremd; ihr Erlebnis der Vereinigung ist damit eine Illusion. Ich schreibe M., dass ich Fromm jetzt verstehe. Es sei mir klar, schreibe ich ihm, dass sich bestimmte Formen von Intimität oder die Intimität an sich tatsächlich nur in Paarbeziehungen realisieren lassen (wobei ich glaube, dass das nicht stimmt – denn ich habe auch mit Freunden solche Momente der Intimität erfahren) aber ich fände die Konstellation von zwei doch seltsam. Man schließe mit seiner Liebe, schreibe ich ihm, so viele andere Menschen aus. Eine Gruppe bestünde mit einem Mal nur noch aus Paaren und sei nie wirklich als Gruppe vorhanden – wirklich vorhanden, gegenwärtig, anwesend, da. Es bleibt eine greifbare Verschlossenheit. Ich fände das absurd, schreibe ich ihm. Mein Herz tue mir weh und meine Füße (von den Schuhe mit den hohen Absätzen, aber das schreibe ich nicht, weil es ohne diese Anmerkung poetischer klingt). Ich hätte mich die meiste Zeit in einem Teil von mir sehr unwohl gefühlt, schreibe ich ihm. Zum Einen wäre ich alleine gewesen und all die anderen, all die Paare hätte eine direkte Bezugsperson gehabt – ich stocke. Ich will das nicht schreiben, also lösche ich das. Die Einsamkeit der Frau mit dem Marmeladenbrot, denke ich. Ich hätte mir so gut vorstellen können, einfach Else mit auf die Hochzeit zu nehmen oder Tom. Ich brauche keinen Partner, schreibe ich ihm. Es sei schön, jemanden zu lieben, einen besonderen Menschen zu lieben aber warum muss eine Beziehung immer auf solch eine Geschlossenheit hinaus laufen? Ich liebe doch auch meine Freunde, schreibe ich ihm. Ich liebe so viele Menschen. Doch dann säße man auf dieser Hochzeit und sei automatisch allein. Das fände ich nicht gut. Das sei so weit von meinem Leben entfernt, schreibe ich ihm. Oder von dem, was ich fühle.

 

M: Es ist normal, dass du dich in solch einer Situation einsam fühlst.

 

Dann lösche ich alles und rauche eine Zigarette auf dem Balkon.

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