Foto: Luca Maximilian Kunze
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0606

In jedem freien Willen sollte ein Schaukelstuhl enthalten sein.

 

Die zerbrechlichen Dinge werden ja extra in Zeitungspapier gewickelt und um jedes Herz ist fürsorglich ein ganzer Mensch gepackt. Mein Mensch liegt auf den Dielen, zwischen den Dielen in dieses knarzige Geräusch gelegt und heult. Mein Mensch weiß nicht, was passiert – was passiert da mit meinem Menschen, während ich so sehr an dem Schal ziehe, dass es meinem Menschen ganz flau wird um den Hals, dieser kurze Augenblick Atemnot – dann lasse ich los.

 

Wie bekomme ich denn jetzt meine Seele von dir los?

 

Mit einem Mal ist der Mohn aufgeblüht. Gestern war von ihm noch nichts zu sehen und jetzt ist die ganze Wiese hinter dem Haus voller roter Blüten. Ich soll immer die sein, die dich schüttelt. Denkt es in mir – ich soll immer die sein, die da ist. Dabei wünsche ich mir doch nichts mehr, als einen Schaukelstuhl. Ich mag diese Bewegung zwischen bergauf und bergab und manchmal stelle ich mir vor, du würdest hinter diesem Stuhl stehen und ihm immer dann einen Stoß geben, wenn die Bewegung droht zu erliegen.

 

S: Du musst das nicht verstehen.

 

M: Du willst also in Zukunft egoistischer und weniger kompromissbereit sein?

 

S: Nein. Ich bin es.

 

M: Das sind eigentlich nicht so tolle Eigenschaften.

 

»Ich will wissen, wer jemand wirklich ist.«

 

Zieh dich aus – ich will wissen, wer du wirklich bist. Menschen – kommen auf ihrer eigenen Oberfläche zum Erliegen. Der Weg ist schwer – vorbei an den ersten kleinen Reizen, vorbei an der ersten Schicht. Hol den Zollstock raus und miss meine Tiefe – du Arschloch. Und aus allen Ecken kreischen die Warnrufe vor mir bekannten Seelen. Ich kann mich lange ausziehen, Stück für Stück und schälen bis auf den Grund meines Daseins – bis da nichts mehr ist. Bis ich mich ganz in Luft ausgezogen habe und im Winde klirren die Fahnen. Ich habe mich verfangen in dieser alten Leib-Seele-Spaltung und sie klebt mir unter den Füßen, hält mich schwer – ich weiß nicht mehr weiter. Während ich die Straßen ablaufe, denke ich über deine Gedichte nach. Habe die Zeilen gewendet, viele Male in meinem Kopf – kann sie auswendig sprechen, während mich die Breitbeinigen daran erinnern, dass ich einen Körper habe. Zieh dich aus – ich will wissen, wer du wirklich bist. Ich halte dir mein Köpfchen hin und schnurre brav, wenn du mir die Haare aus dem Gesicht zitierst. Ich kann mich lange ausziehen, schälen bis auf den Grund meines Daseins – bis die ganzen Ichs und Dus in sich zusammen fallen, die ganzen alten Geschichten und wie wir sie beharrlich wiederholen – bis du mir dein Sein ganz aufgezwungen hast. Seelen verschmelzen, das ist das Schlimmste und Schönste – summe ich auf dem Weg zur U-Bahn und verschmelze doch nur mit Fahrgast eins bis hundert gegen den Spalier gedrückt. Mir fällt es schwer, den Fremden in die Augen zu schauen und nicht genervt zu sein, wenn der Typ mir gegenüber schwitzt wie ein Schwein oder Frau mir laut ins Ohr kichert – es fällt mir schwer, euch alle nicht zu hassen ob eurer Freiheit. Das Schlimmste und Schönste in den Anderen hineinzufallen – auf diesen harten Grund. Und ich frage mich, wie man wirklich sein kann – weil mir jedes Sein so furchtbar erfunden vorkommt. Kleine Ich-Konstruktionen – kleine Ich-Geschichten von damals früher jetzt. Weil ich gegen Alles und dich nur meinen Kopf halten kann – immer wieder – nur Worte halten kann, festhalten kann, wie sie sich ihren Weg suchen in das Unbekannte in mir und die Lust – die Lust am Anderen. Überwältigt mich immer und immer wieder.

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