Foto: Luca Maximilian Kunze
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0604

Bis ich mich an eine Beziehung gewöhnt habe, ist sie vorbei.

 

M: Hmh.

 

S: Deine kontextlosen Hms werden mir sehr fehlen.

 

M: Werden dir fehlen? Wieso?

 

S: Naja, irgendwann werden wir nicht mehr miteinander sprechen, dann werden sie mir fehlen.

 

M: Wieso werden wir irgendwann nicht mehr mit einander sprechen?

 

S: Naja, irgendwann spricht man immer nicht mehr miteinander – dann hat man sich ausgesprochen.

 

M: Ach.

 

Es ist einfach kein Ende in Sicht. Ich halte mich mit Weizenmehlkräcker bei der Stange und das schlechte Gewissen aus der Ernährungstherapie meldet sich – ich fühle mich schlecht. Ich fühle mich so schlecht, dass die Vorstellung alle Kräcker auf ein Mal reinzustopfen, sehr verlockend ist – aber ihre Farbe gefällt mir nicht. Weizenmehlkräcker auszukotzen sieht einfach nicht schön aus. Ich darf eh nur alle fünf Stunden essen und es muss aus Vollkorn sein und Gemüse sein. Es muss ausgewogen sein. Wenn M. mich jetzt bitten würde, ihm aufzuschreiben, was ich jeden Tag esse, würde auf der Liste stehen: Weizenmehlkräcker, Weizenmehlkräcker, Weizenmehlkräcker.

 

Die Tiefsinnigkeit eines durchgesessenen Sessels ist kaum auszuhalten.

 

Natürlich war es in gewisser Weise einfacher, die Kopfschmerzen in den Sessel zu verlegen – in die ungünstige Sitzposition oder in die Tatsache, dass ich zu wenig getrunken hatte – den ganzen Tag über und ich denke Flüssigkeitsaufnahme gerne in Tagen. Das ist eine passable Zeiteinheit – auch Nahrungsmittelaufnahme kann man ganz gut in Tagen denken und das ist vielleicht auch weniger belastend – es hat wirklich wenig Sinn, für diese basalen Augenblicke eine Zeitrechnung von Monaten oder Minuten zu bemühen. Ich rechne dann z.B. mindestens fünf Mal am Tag müsste ich die Flasche auffüllen und sie leer trinken – das ist das erforderliche Minimum. Und das Intervall von fünf Stunden im Bezug auf Nahrungsmittelaufnahme hat sich mir im Hinblick auf den Insulinabbau auch erschlossen. Ich denke jede Nahrungsmittelaufnahme in einem Takt von fünf Stunden – Tick, tick, tick. Das ist Zeit. Natürlich kränkt es mich in gewisser Weise, dass der heutige Kopfschmerz wenig mit der Sitzposition zu tun hat, sondern eher der Tatsache geschuldet ist, dass ich die Flasche Heute nur zwei Mal aufgefüllt hatte und nun ist es Nacht. Die Zeiteinheit Tag ist vorbei. Im Hinblick auf meinen Flüssigkeitshaushalt hatte ich versagt. Natürlich kränkt mich dieses Versagen – wen nicht? Das Versagen an den eigenen Körper – immer wieder. Eine der größten Kränkungen. Es ist aber von Vorteil in einem Sessel zu verschwinden, z.B. wenn ich die apathische Gelassenheit des Barkeepers beim Herauspressen der Eiswürfel aus der Plastikfolie (es ist immer ein seltsames Gefühl, Menschen dabei zu beobachten, wie sie Dinge an die Oberfläche pressen) – wenn ich z.B. diese bis hin zum Stillstand verlangsamten Züge des Barkeepers, jeder eingespielten Bewegung Hochachtung zu verleihen durch präzises Auflösen in Zeiteinheiten, deren hermetische Verschlossenheit unüberwindbar ist (was empfindet er beim leichten Druck des Glases gegen die Spülbürste und warum macht es ihn nicht Wahnsinnig, dass das Wasser nun im Glas selbst auf den Grund fließt und sich dort langsam eine Pfütze Spülwasser bildet, die er nun mit dem liebevoll und ganz genau abgemessenen 2 cl Klarem vermengt). Wenn ich all das nicht erträgt, ist es von Vorteil, in einem Sessel zu verschwinden – immer wieder. Ich spüre das Trockene an meinen Nasenflügeln und auf meinen Lippen – sie brennen schon lange. Das erste Glas schulde ich also meinem Durst und dem Gefühl im Allgemeinen einfach lockerer werden zu müssen – das sage ich doch immer: Mach dich mal locker. Sei nicht so nervös. Beruhig dich mal. Ich denke, die meisten Menschen sind recht stolz auf ihre Spleens, wenn sie Dinge in Foren diskutieren z.B. beim Einkaufen nehme ich immer das dritte Produkt von vorne oder ich möchte, dass die Wäscheklammern immer die gleiche Farbe haben und von der gleichen Beschaffenheit sind usw. – ich denke Spleens geben mir das Gefühl, einzigartig zu sein. Der Spleen des Barkeepers z.B. ist es, alles ganz ganz langsam zu tun mit einem gewissen Desinteresse, leicht abwesend, leicht über den Dingen. Deine Abwesenheit fällt mir heute schwerer ins Gewicht. Jedes Bemühen den Gedanken daran wegzuwischen scheitert in kindlichen Schmierereien, wie damals, als die Kindergärtnerin mir das Fehlen feinmotorischer Fähigkeiten diagnostizierte und behauptete, die Rolle der Braut sei den blonden Mädchen vorbehalten. Ich will von nichts und niemandem berührt werden, außer vielleicht vom Duschvorhang. Das ist jetzt auch nur so eine Ahnung – ich nenne es Ahnung vor dem Unvermeidlichen, dass du entweder frisch verliebt oder tot bist. Also verschwinden im Sessel oder in den Gedanken also in deinen Gedanken verschwinden. Ich denke, du bist kurz davor, mich zu vergessen, sonst müsste ich nicht so häufig an dich denken und drüben am Tisch, der nur in meinem Augenwinkel liegt – also am anderen Ende des Raumes aber im äußeren Winkel meines Sichtfeldes irgendwie ganz nah sitzt er – so nahe, ich könnte Hallo sagen – oder? Das liegt an der Größe des Raumes und hat wenig mit meinem Augenwinkel zu tun (auch wenn das ein schöner Gedanke ist und Männer es ja im Allgemeinen mögen, wenn man – also frau – also die richtige Frau die Initiative ergreift und einfach mal aus dem Augenwinkel heraus Hallo sagt). Auch wenn ich viel Allgemeines finde – wie z.B. dass klassische Zeitmaßeinheiten hier keine Relevanz haben – auch er in meinem Augenwinkel ist von dieser ganz eigenartigen Gelassenheit durchdrungen als gäbe es keine Welt und nichts, nichts berührt ihn außer vielleicht gelegentlich der eine oder andere Duschvorhang. Ich meine diese Menschen, die jedes bisschen Nervosität, Aufregung, Ärger von sich weisen – auf mich zurück weisen und sich so wortlos, klanglos jeder kleinsten Situation entledigen und dann sitzen sie in meinem Augenwinkel – immer schräger werdend und ich müsste mich schon ganz und gar in den Raum legen, um Teil davon zu sein. Schau, ich kann davon nicht Teil sein – auf mir liegen die Dinge – verstehst du? Auf mir liegen die Dinge und schwer, schwerer werdend, größer werdend – so den ganzen Körper einnehmend. Schau, auf mir liegt die Ordnung der Dinge schwer und ganz mit Absicht. Und selbst das kleinste bisschen Abwesenheit bohrt sich mir in den Leib. Auf mir liegt all das, was du jetzt von dir weist – auf mir liegt es lang und breit und erzählt Geschichten. Wenn du auch nur ein kleines bisschen (aber das ist ja Quatsch) – aber du müsstest schon Hallo sagen und wenn du nichts sagst – dann bleibt es eben das was es ist – nichts. Er sitzt also in der hintersten Ecke meines Augenwinkels mit einem Bier und einem Buch auf der aufgeklappten Bein-Knie-Bein-Komposition. Das sind durchaus sehr gute Zeiteinheiten: Bücher und das Leeren eines Glases – viel bessere Zeiteinheiten als z.B. darauf warten, dass du nicht tot bist oder frisch verliebt. Und ich bin sehr glücklich, dass ich in dem Zimmer mit den vielen Büchern schlafen darf. Schau, der Atem meines Daseins reicht für diese zwei drei gedrängten Gedanken nachts – und ein bisschen sich in Augenwinkeln umtreiben und lieben – lieben um zu schreiben. Dafür reicht es. Schau, die Tiefsinnigkeit eines durchgesessenen Sessels ist kaum auszuhalten.

 

Ich frage mich, ob M. jemals an diesen Punkt kommt – aber das ist auch Quatsch. Also dieser Punkt, an welchem ihm auffällt, dass ich nervös war.

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