Foto: Luca Maximilian Kunze
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0603

Wenn du kein Photo davon gemacht hast, ist es nie passiert.

 

Als ich dann endlich die Augen öffne, bin ich erleichtert. Es war nur ein Traum. Alles ist in Ordnung. Ich muss kein weiteres Mal in dir verloren gehen. Langsam wundere ich mich über die Sonne – wo Sonne ist, ist auch Licht.

 

S: Und die perfekte Frau?

 

M: Die perfekte Frau hat etwas Bedingungsloses – in ihrer Liebe zu mir und in allem anderen auch. Sie ist natürlich intelligent, kreativ … Leidenschaftlich, mädchenhaft – und kann sich unterordnen.

 

Weil ich ein Mädchen bin

 

Auf dem Weg durch die Pragerstraße kam mir in den Kopf, dass ich Heute nichts an mir hatte, das in irgendeiner Art nach Aufmerksam verlangt hätte – dass ich tatsächlich kein Mensch bin, dem Aufmerksamkeit gehört. Etwas in meinem Schritt verlangsamt sich – leiden heißt vertreiben und es lässt sich nicht vermeiden dass dus wieder machst – ich will nicht stehen bleiben. Ich bleibe stehen. Ich hebe den Kopf und natürlich ist die Straße leer. Die Pragerstraße ist immer leer. Deine Haare sehen aus wie das Gefieder eines Raben. Und deine Lippen sind wieder gesprungen von den Nächten, die du wach lagst – Mädchen. Weil ich ein Mädchen bin. Kann ich nicht die Dinge sagen und beiße mir auf die Lippen – oder du, du beißt mir auf die Lippen, wenn ich nichts sage. Weil ich ein Mädchen bin. Ich mache nicht kehrt – ich gehe weiter. Ich denke an meine Großmutter – ihre Lieblingsfarbe ist Rot. Ich denke an den roten Lippenstift, den sie mir noch vor ein paar Wochen auf den Tisch gestellt hatte, zwischen die Tasse Kaffee und dem Stück Kuchen. WEIL NIEMAND WEIß, DASS ES UNS GEGEBEN HAT BABY. Ich denke an die Raben und ihr warmes Gefieder glänzend gegen den Himmel – die Raben sind keine Vögle. Sie bleiben auf dem Boden. Der rote Lippenstift steht jetzt vor meinem Badezimmerspiegel. Wir haben uns lange angeschaut. Es ist ein sehr dunkelgrelles Rot, wie es vielleicht die Karnevalmädchen tragen. Es ist ein sehr dunkelgrelles Rot und ich stelle mir vor, wie es an dem Zigarettenfilter klebt oder an den Zähnen, dass es sich womöglich über die ganze vorderer Zahnpartie verteilen würde – oder es würde in die Mundwinkel fließen. Meine Großmutter sagt: Männer brauchen was fürs Augen – deinen Intellekt sieht man ja nicht. Sieht man nicht. Sieht man nicht in den Augen. Sieht man nicht in den Dingen. Die Pragerstraße ist immer leer. Dann muss man schon erst Mal den Mund auf machen und ich mache den Mund auf – mein Glied unterwirft sich der Diktatur deines Mundes, Baby. Es ist dunkelgrelles Rot, wie ich es mir immer vorstelle, wenn Klaus Kinski wild ist. Dann stehe ich vor dem Spiegel. Meine Großmutter sagt, ich brauche eine neue Frisur – ich solle zum Friseur gehen. Oder einen Hut. Ich solle einen Hut tragen und sie bringt mir eine kleine Auswahl aus ihrer Sammlung. Ich stehe vor dem Spiegel. Badezimmerspiegelschrank – ich besitze keinen Spiegelschrank aber manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre, wenn ich einen Spiegelschrank besitzen würde. Wir müssen durch den Spiegel gehen – weißt du. Und das geht nur, wenn da ein Schrank hängt aber da hängt kein Schrank und ich versuche mir meine Lippen mit dem wilden Rot vorzustellen und schaue sie lange an, diese Striche zwischen Nasenlachfalte und zulaufendem Kinn – ich verstehe euch nicht. Ich verstehe euch nicht und es sind viele kleine Rillen und jede stelle ich mir mit einem Riss vor – das macht viel mehr Sinn, wenn sie alle aufgerissen wären, die kleinen Rillen. Sie sind so klein, dass das Ganze auf der herzförmigen Fläche meines Gesichtes schon recht untergeht – mein Gesicht verschlingt die blasse Ahnung eines Mundes. Ich stehe vor dem Spiegel. Kontaktlinsen solle ich verwenden oder eine Brille, die meine Augen nicht verstecke. All das behauptet meine Großmutter. Dass ich ein Accessoire brauche – etwas Auffallendes. Ein auffallendes Zigarettenetui oder einen Armreif oder so – irgendeinen Gegenstand, der es leichter macht, mich anzusprechen. Den Intellekt sieht man ja nicht. Weil ich ein Mädchen bin. Weil ich ein Mädchen bin. ICH KANN AUCH NICHTS DAFÜR, DASS MICH NIEMAND SIEHT. Was bin ich optisch auf einer Skala von 1 bis 10. Ich stehe vor dem Spiegel – heute ist vielleicht so ein 3 bis 5 Tag – oder 3 bis 6 Tag – damit kann ich leben. Ich stehe vor dem Spiegel – dunkelgrelleroter Lippenstift auf der vorderen Zahnpartie. Ich stehe vor dem Spiegel und zähle die Punkte auf meiner Quartettekarte. Ich weiß nicht, wofür es Punkte gibt – vielleicht für den einen oder anderen netten Satz, blutroten Lippenstift oder einen Blowjob unter dem Cafétisch – ein blutrot verschmierter Lippenstiftschwanz. Dunkelgrellroter Lippenstift. Auf den Stummeln der letzten zwölf Zigaretten. Ich stehe vor dem Spiegel – ich muss abnehmen – das sagt nicht meine Großmutter, das sage ich. Und ich male einen Strich neben dem anderen – wie ich aussehen will und ich in meiner Vorstellung bin – einen Strich nach dem anderen – aus Strichen will ich mich malen. Aus Stricken. Aus Stricken will ich mich malen. Ich nehme manchmal auch die Schere und stelle mir vor, wie es wäre, wenn ich den einen oder anderen Bereich einfach abschneiden könnte – es müsste schon gehen – sich so einmal alles um den Bauchnabel abschneiden, oder in den Seiten oder die Beine ganz. Sich ausschneiden. Ich schneide mich an Stricken aus. An Stricken – und schneiden, bis ich daran ersticke. Ich will mich reduzieren – auf die wesentlichen Dinge reduzieren und so lange an mir schneiden, bis ich perfekt bin – nicht? Mit den dunkelgrellrotblut Lippen. Meine Großmutter sagt, ich solle mich anders anziehen – nicht diese H&M-Fetzen ohne Ausschnitt. Etwas Auffälliges – oder etwas – ja, etwas – weil ich ein Mädchen bin – etwas für meine Kurven. Etwas. Etwas. Etwas auf einer Skala von 1 bis 10 – ach, wir kämpfen um die Ressource nicht-alleine-sein. Ich stehe vor dem Spiegel. Bis sich der nächste in meinem Fleisch verbeißt und mich zu Ende denkt. Ich kann auch nichts dafür, dass mich niemand sieht, wie ich bin. Weil ich ein Mädchen bin.

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