Foto: Luca Maximilian Kunze
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Alle 11 Minuten verliebt sich niemand in mich.

 

Im Fernsehen sagen sie, es sei Sommer. Denke ich. Ich habe keinen Fernseher. Ich kann ihn nicht sehen, den Sommer.

 

Und wer im Glashaus sitzt, hat viel Licht – das verstehe ich nicht … das mit dem Glashaus habe ich noch nie verstanden. Die Kids auf der Straße fahren elektrische Mountainbikes, denke ich – es rattert. Das war so ein schöner Nachmittag. Ich bin geneigt aus meiner Trunkenheit heraus emotional schöne Dinge zu schreiben.

 

M: Ich beneide dich um deine neue Wohnung.

 

S: Warum?

 

M: Die Fensterfront.

 

S: Ja, das ist unwirklich.

 

Valentin deutet auf die einzige freie Fläche, die dem Raum noch zur Verfügung steht und behauptet, hier könne gut der Fernseher stehen. Ich zucke mit den Schultern, denn ich habe keinen Fernseher. „Ich habe keinen Fernseher!“ sage ich laut und deutlich. Die einzige freie Fläche, die dem Raum noch zur Verfügung steht. „Ich habe schon seit 10 Jahren keinen Fernseher mehr.“ sage ich laut und deutlich. Abends gehört der Spielplatz den Jugendlichen und wer im Glashaus sitzt, hat viel Licht. Valentin kann den Stolz in meiner Stimme kaum überhören. Das ist gut so – es ist wichtig, dass er es bemerkt, dass er bemerkt, dass ich Stolz bin. Ich bin ein stolzer Mensch. Ich bin stolz darauf, tausendfünfhundertdreiundzwanzig Bücher zu besitzen aber kein Regal. Ich staple die Bücher übereinander, gelehnt an die letzte freie Fläche, die dem Raum zur Verfügung steht. M. sagt, Besitzt macht nicht glücklich. Gerade rauscht der Berlin-Warschau-Express vorbei – er ist vorbei gerauscht. Warschau … was das wohl für eine Stadt ist? Ich kann sie mir nicht vorstellen. Ich will Luft, schreit das Mädchen. Ich will Luft.

 

S: In der großen Wohnung ohne Bücher fühle ich mich einsam.

 

M: Das gefällt mir: S. allein zu Hause.

 

S: Warum gefällt dir das?

 

M: Es st süß.

 

S: Oder erbärmlich.

 

Abschiedsbrief 13.04.2015

 

Schau, ich hatte gerade deinen Schwanz im Mund und jetzt schläfst du – das ist normal. Das nennt man: Nähe.

 

Nur mich macht diese Nähe krank. Ich hasse mich für jeden Moment dieser Nähe und jeden Typen der sagt: Du bist ganz nett, aber …

 

Aber. Aber. Ich habe diesen Satz auch schon ein paar Mal gesagt. Klar. Man sagt das schnell, wenn es nicht gefunkt hat. Und es funkt oft nicht.

 

Ich kann z.B. nicht verstehen, warum du jetzt schläfst.

 

Ich ertrage diese Berührungen nicht, die nur so tun, als wollten sie mir nahe sein – dieses einander streifen, aber sich nie ganz hergeben – dieses sinnlose gefickt werden ohne Gefühl.

 

Warum sich selbst behalten.

 

In meiner Vorstellung muss es möglich sein, sich gegenseitig im jeweils Anderen zu verlieren und zu finden – in Einem, zugleich. (Platon, Kugelmenschenschwachsinn)

 

Das klingt so, als würde ich mich der Andren wegen umbringen. Aber ich bringe mich der Nähe wegen um. Sie existiert nicht. Ganz ohne Metapher: Sie existiert nicht.

 

Was ich bis zum Ende meines Lebens nie verstanden habe: Die Asymmetrie zwischen durch-einen-anderen-Menschen auf die Welt kommen und von allen Anderen im eigenen Ich getrennt sein.

 

Ich bringe mich der Nähe wegen um. Weil es mir das tiefste Bedürfnis ist, die Welt und die Menschen zu durchdringen, mit all dem Eins zu werden, was nicht Ich ist. Einheit. Einheit ist unerreichbar.

 

Deshalb lese ich gerne. Ich liebe Bücher, weil sie mir das Gefühl geben, ich kann die Gedanken eines Anderen ganz und gar durchdringen. Aber dann schaue ich auf meine Hände – auf das Buch. Es ist ein Gegenstand. Und ich bin nicht das Buch.

 

Mein Ich – so ein Ich – das kann doch in diesem Getrennt-sein von allem anderen keine Erfüllung finden. Klar, man kann sich in sich selbst verlieben – und davon überzeugt sein, dass die ganze Welt einen liebt – glücklich sind die Narzissten und ich bewundere sie sehr.

 

Sei ganz du selbst.

 

Wenn ich ein Narzisst wäre, würde ich mir selbst vielleicht genügen. Aber ich genüge mir nicht.

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