Foto: Luca Maximilian Kunze
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0201

miniaturen in ich-form, #1

ich investiere in briefmarken
„macht drei euro vierzig, bitte …“

3 euro 40 nach berlin, nicht eingeschrieben, heutiger poststempel, 3 mal 4 seiten plus bio-biblio, verpackt in hellbraunes kuvert DIN C4, die texte gehen an 1 wettbewerb. [die blütenweißen kuverts sind den zeitschriften vorbehalten, deren redaktionsmitglieder die zusendungen noch eigenhändig öffnen.] die gedichte sind schon lange druckfertig, bevor sie zum postamt gebracht werden, an den meisten prosatexten nehme ich in letzter sekunde noch überarbeitungen vor. sie werden alle auf einmal gedruckt und zu kleinen stapeln sortiert, ein stapel pro kuvert. ich verpacke und verschicke sie. meine texte werden flügge, weiße und braune brieftauben. meistens brechen sie sich ein bein oder einen flügel und kommen nicht mehr zurück.

ich wohne in 1100 wien, ansonsten im schriftlichen. [heißt so viel wie: ich schreibe.] wenn ich nicht zur arbeit gehe, verlasse ich die wohnung kaum. das bedeutet: ich bin nicht besonders salonfähig. gelegentlich tue ich so, als ob – z.b. wenn ich eine lesung halte. das so tun als ob scheitert meistens: ich komme over- oder underdressed und unpassenderweise cum oder sine tempore. einmal komme ich genau zeitgerecht. ein mit over- und underdresseden menschen angefüllter saal, eine unruhe, überall flüstern, hie und da finden und grüßen sich bekannte, tauschen neuigkeiten aus. dann die ansage. kurz stille. drei texte der kollegin. applaus. dann mein text. räuspern. meine stimme hat heute herzklopfen, ich soll lesen – ein lapsus …

… ich komme nach hause und bin mißmutig gelaunt. du stehst in der küche und riechst nach faschingskrapfen aus dem zehnerpack, das am aschermittwoch im angebot war, und du sagst, schreiben sei selbstverwirklichung – gestern hast du gesagt, es sei lohnarbeit, aber eine der schlecht entlohnten. für mich sind schreiben und veröffentlichen zweierlei angelegenheiten, und erstere per definitionem unbezahlt. aber viel schöner als die zweite, die im idealfall ein notwendiges übel darstellt oder gar eine notwendige freude. im schlechteren fall wird sie zur sucht – zu einem verzweifelten haschen nach aufmerksamkeit. zu einem stich in der magengegend, wenn wieder ein naher kollege, eine entfernte bekannte gedruckt wurde. statt mir. zu einem ekligen zweifel, ob mein ständiges schaffen denn überhaupt sinn hat, wenn es nicht nachgefragt wird. seit geraumer zeit versuche ich das einschicken mit dem glücksspiel zu vergleichen. so viele faktoren, die sich nicht beeinflussen lassen. gute und schlechte texte der anderen, ebensolche geschmäcker der jeweiligen jury. das glück oder pech, den richtigen oder falschen text aus der schublade gezogen zu haben. [doch auch schreiben ist zufall. ich denke dabei an mallarmé und den würfelwurf.]

ich sollte allerdings nicht mehr öffentlich lesen. menschen machen mir zu schaffen. ihre bloße anwesenheit. ich bin dünnhäutig geworden, nicht nur im übertragenen sinne. ich häute mich wie libellenlarven und schlangen, mein körper stößt seine äußerste schicht ab, hässliche schuppige stellen breiten sich in meinem gesicht aus. topographien der belastung. feuchte kälte und überheizte räume. junk food und schlafentzug, zigaretten und eine innere unruhe, die sich weder mit schokolade noch mit nikotin bekämpfen lässt.

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