Foto: Luca Maximilian Kunze
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wunschmensch

Ich weiß nicht, ob ich schon jemals an einen anderen Menschen als an mich gedacht habe. Nicht aufgrund von einfachem Egoismus oder dergleichen, sondern weit eher vor noch weit einfacherer Angst, die wie jede Angst mit Einfachheit an Intensität zunimmt. Meine Welt kreist nur um mich und zieht so ihre Bahnen, aus Furcht, mich von meinem Selbst zu entfernen. Ich will nicht fallen in ein Nichts aus Freunden, Familie und Gewohnheit, will mich nicht auflösen in einer wärmenden Sicherheit, die nach Omas Braten, Opas Wollpullover und dem Schoß einer kalten Frau duftet. Jeder Gedanke meines Herzens gilt mir, jeder Schlag durch mein feuchtes Hirn dreht sich um mein Sein. Alle Abhängigkeiten und Verbindungen zu Anderen und Anderem sehe ich von mir ausgehend als meine Wirklichkeiten an. Unabhängigkeiten kenne ich nicht, was ich als einen Beweis für mein Kind-Sein ansehe und dadurch auch als einen Beweis für meine Unschuld jeglicher Art.
Nicht, dass ich nicht versuchen würde, an meine Mitmenschen zu denken. Nicht, dass ich mich nicht bemühen würde darum, mich um jeden Einzelnen von ihnen zu kümmern. Ganz im Gegenteil. Aber scheitern tu ich halt und ich sehe mein Scheitern gerne ein. Ich gestehe mir meine Fehler und aus diesem Grund bin ich auch unfehlbar. Kindlicher Trugschluss, ich weiß. Immer wieder werfen mich die Sorgen um mich selbst in meinen Plänen meilenweit zurück. Immer wieder scheitere ich an der Entscheidung, ob ich ein guter Mensch oder bloß Mensch sein will. Guter Mensch für alle anderen oder Mensch für mich selbst. Denn ich hänge zu sehr an mir, als dass ich mich aufgeben könnte für meine Mitmenschen. Ist man Egoist, bloß weil man kein Altruist sein möchte? Muss ich mich für mein Leben in einer Gesellschaft aufgeben, damit ich aufsteigen kann, damit ich aufgehen kann in diesem System? Mit siebzehn Jahren habe ich einmal folgendes Gedicht geschrieben, es beschreibt meinen Zwiespalt nach wie vor äußerst treffend:

ich möchte
ein guter mensch sein.
stets nicken
und schweigen
jedem nett begegnen
jeden lieben:
nichts meiden.

alles verstehen
nie nein sagen.
nie hassen
der not entgegentreten
zum eigenen worte stehen
und ist die welt
auch oft sehr düster:
niemals untaten begehen.

doch ich möchte auch
ein mensch sein.
und leben
will nehmen
nicht nur geben
hass verschenken:
liebe stehlen.

muss auch schreien
und lügen.
und unter tränen
die menschen um mich betrügen
es ohne rücksicht tun
und ist die welt
auch oft sehr düster:
mich in gutem gewissen ruhn.

Die Sorgen um meine Gesundheit sind die gewaltigsten, mein Nervenkostüm das dünnste. Ich denke so häufig an mich, weil ich so viel Angst habe um mich und die Angst tausende von Fragen aufwirft, die mich quälen. Ist das besonders, was ich denke? Bin ich normal in meinem Empfinden? Wieso zittern meine Hände so sehr? Bekomme ich gerade genug Luft zu Atmen? Wohin mit all der Kultur? Wohin mit all den Nerven? Wohin mit dem Recht? Wo das Unrecht einsperren? Setzt mein Herz gerade aus? Wieso ist mir so schwindelig? Wieso kommt mir meine Umgebung so derealisiert vor? Mein Körper hat sich zum größten Feind meines Altruismus entwickelt. Ständig steht er im Clinch mit meinem Geist, wenn man diesen sphärischen Begriff denn verwenden möchte.
Wie soll ich mich an die Prüfung einer Freundin und an das dazugehörige hörige Daumendrücken erinnern, wenn ich zur gleichen Zeit im Zug sitze und mein Hals vom vielen Druck der vielen Wörter und Pflichten anschwillt und schmerzt; und mein Penis von der vielen Lust? Wie soll ich an den Geburtstag meines Vaters denken und an den Whiskey als übliches Geschenk, wenn mir das Treffen mit einem Bekannten in zwei Wochen auf der Brust liegt und mir den üblichen Brechreiz beschert? Das heißt/meint nicht, dass ich über diesen Bekannten etwa nachdenke, er wirkt sich bloß auf meinen Körper aus, der zwickt und klemmt, und auf meinen Kopf, der sich überlegt, wie lange er so ein Leben noch mitmachen will. Ich und mein Körper. Und das kleine Bisschen darüber und darum und darunter, und die Wörter, die das alles beschreiben. Sonst nichts. Sonst habe ich in meinem gesamten besamten DASEIN an noch nichts anderes gedacht.

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