Foto: Luca Maximilian Kunze
Foto: Luca Maximilian Kunze

Zu Gast im März

18-03 | Fabian Hartmann

> zur Biografie

> zum online-KLISCHEE

Zu Gast im Mai

17-05 | Philipp Röding

> zur Biografie

> zum online-KLISCHEE

1215

Der korrekte Mensch von Buxtehude

Er war immer schon ein guter Mensch gewesen, ein korrekter Mensch. Reißfest reibfest sicher. Er nahm nie das N-Wort, nie das F-Wort, und schon gar nicht das S-Wort in den Mund. Im Grunde nahm er nie ein Wort in den Mund und ließ immer bloß die anderen reden. Er nickte und lächelte stets höflich, grinste verschmitzt und presste entweder ein FINDE ICH GUT oder ein ICH BIN NICHT DAGEGEN zwischen seinen glänzenden Lippen hervor. Wo er auch hinkam, wo er auch wegging: Er gab sich stets traditionell modern und charmant. Nie etwas Falsches denkend, nie etwas Anstößiges sagend. Immer eines jeden Hand geschüttelt und der Damen Wangen dreifach geküsst. Stets anzutreffen in seinem maßgeschneiderten Anzug, den er niemals auszog. Seine Augen immer mit einem Blick auf der goldenen Armbanduhr, immer bloß kurz, nie zu lang, als das es wie eine Unaufmerksamkeit hätte wirken können. Er war sich immer jeder Uhrzeit bewusst und zudem äußerst bedacht auf Pünktlichkeit. Es kam nie zu spät, nie zu früh, immer auf den Punkt. Sein Ich war eines der rettbarsten, konstant und stetig. Seine Ausdrucksweise, sein gesamtes Auftreten war knapp, präzise und schmucklos. Er verlangte nie nach Ruhe, war unermüdlich im Umgang mit Menschen. Arbeit war ihm eine Liebe und in der Freizeit war ihm die Bürokratie, was anderen das Leid anderer war. Ein Vergnügen. Er füllte jedes noch so unwichtige Formular mit erstaunlicher Akribie aus, antwortete auf Nachrichten, die man ihm schickte ausführlich und detailliert.
Und doch musste er Vieles einstecken, sich viel gefallen lassen von seinen Mitmenschen, denn ein übermäßiges Maß an Korrektheit wurde bei den Leuten seid den großen Schrecken des vergangenen Jahrhunderts nicht mehr gerne gesehen und sofort angefeindet. Aber eine weitere seiner kostbaren Eigenschaften war, dass er auch stets und ausnahmslos verzeihen konnte, wenn ihm jemand zu nahe trat, was er nie offen zeigte. Er verzieh jede Beleidigung, jede Gemein- und Dummheit. Er vergaß nicht bloß, wie alle anderen. Er verzieh. Auf ihn konnte man sich verlassen, zumindest sagte man das über ihn, mehr aber auch nicht. Wirkliches Vergnügen und Losgelöstes kannte er nicht. Denn wohl situiert wie er war, begab er sich auch nie in Situationen, die dieses Wohl gefährden hätten können. Und das war nicht so einfach, wie ein Normalstrebender vielleicht denken mag. Korrektheit ist ein wahrhaftes, ein schwieriges Unterfangen. Denn Korrekt-Sein bedeutet immer mit der Zeit zu gehen, beziehungsweise immer mit der Mehrheit, mit der Menge. Er musste sich und sein Korrekt-Sein immer wieder aufs Neue anpassen. Von Zeit zu Zeit hatte er sich wandeln müssen und die Messlatte seiner Ordnung, seiner Richtigkeit immer wieder neu bemessen. Bis zu jenem Tag, als er seinem Dasein als Mensch ein jähes Ende setzte, als er sich 27 Jahre alt drehte.
An diesem Tag beging er Selbstmord und sprengte mit sich ein ganzes Einkaufszentrum in die Luft. Sicher schnell zuverlässig. Mit seinem gewöhnlich halbherzigen Lächeln im Gesicht. Er drückte den roten Knopf in seiner Hand und besiegelte so seine letzte Handlung, völlig offen lassend, ob es einen Grund dafür gab. In den Sekunden danach herrschte eine eigentümliche Stille, ganz anders als üblich nach solchen Vergehen. Eine Stille, der bloßen Stille wegen. Nicht um einen dramaturgischen Effekt zu erhaschen. Nicht um des Friedens Willen, nicht gegen des Krieges Willen. Bloß Stille, der Stille wegen. Er hinterließ keine Botschaft, keinen Brief an seine Mitmenschen. Völlig offen lassend, ob es sich bei seiner Tat um etwas Korrektes handelte oder nicht. Verbrechen hin oder her, die Frage nach der Richtigkeit blieb unbeantwortet.
Noch heute meinen manche, dass die Stadt ohne das hässliche Einkaufszentrum sehr an Lebensqualität gewonnen habe. Andere verneinen und streiten dies strikt ab, mit Tränen in den Augen und Hass im Magen. An der zerbombten Stelle wurde zum Gedenken an die Opfer ein Park hingepflanzt und die Kinder, die von der Explosion übrig blieben, tollen tageintagaus dort herum, spielen verstecken und fangen, graben dann und wann noch losgelöste Ärmchen und Beinchen ihrer ehemaligen Kindergartenfreunde aus, frisch mager sehnenfrei, oder sie klettern Bäume hoch. Schöner als damals ist es ganz bestimmt geworden, ob das einen Schmerz und eine tiefe Trauer tilgt, kann man noch nicht sagen. Vermutlich.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0