Foto: Luca Maximilian Kunze
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Geschmack und Temperament

Ein freier Text ist genau so sehr möglich, wie ein freier Mensch möglich ist. Bloß halb, mit einem Fuß im Gesetz und seinen Regeln und den Zwängen, mit denen das alles verkettet ist, und mit dem anderen Fuß in der Sicherheit, die viele Menschen ja für Freiheit halten, die aber genauso an den Zwang und an die Haft genäht ist. Das Schneiderlein in dieser Geschichte sind Staat und Politik und seine Nadel trägt Gift an der Spitze, wie eine Wespe. Des einen Schaden ist des anderen Nutzen, heißt es ja, bloß dass dieser Schaden irreparabel ist und bleibt. Das ist eine der vielen Unarten des Lebens, neben der, dass es mir und meinen Dingen nie genügend Zeit einräumt. Einer der Gründe, warum man bloß noch vor Freude weint, anstatt vor Freude zu lachen. Einer der Gründe dafür, warum man sich eine Familie heranzieht, wie Tomaten, und Häuser baut, die man wie Tomatengestrüpp wuchern lässt. Aber sei es drum. Ein Haus, ein Brand. Ein Sprichwort.
Jedenfalls ist ein freier Text genau so sehr möglich, wie ein freier Mensch möglich ist. Bloß mosaikähnlich, in zerfahrenen Gedanken beschreibend was Sache sein könnte. A beautiful mind. Bloß mosaikähnlich, weil Geschmack und Temperament, ebenso wie Mütter zu ihren Söhnen, gegenläufig sind. Was der Mutter ans Herz geht, das geht dem Vater nur an die Knie. Ein Sprichwort. Eben deshalb bedürfen die Steine eines Mosaiks unterschiedlicher Farben und Schattierungen, verschiedener Reinheitsgrade, um sich zu einem Bild auslegen zu lassen. Ein freier Mensch muss, falls er denn wirklich ein freier Mensch sein will, Augen- und Mundwerk unter Kontrolle halten, muss dunkeln und sein Schweigen treten. Ein freier Text muss, und hier steht es außer Frage, dass er frei sein will und muss, stillhalten, um einzubrechen in einen Leser. Er sollte auf klangheimlichen Pfoten mich und dich hin und her reißen, ohne selbst einzureißen dabei. Ein freier Text muss, wie ein Mosaik, wie das Nilmosaik von Palestrina beispielsweise, einen Leser ansehen, ihn anstarren, ihn aufreißen und dabei bloß sich selbst fühlen und lieben.
Er muss pulsieren durch Glaube und Wissen, durch Hinschritt und Fortschritt, durch den vermaledeiten Staat und seine Politik, die eigentlich einmal ein nützliches Instrument einer Gesellschaft war, nun aber bloß Werkzeug in den Händen von stutenbissigen Kleinkindern an ihrem Poli-Tisch ist. Hammer und Sichel, anstelle von Messer und Gabel. Damit werden sie uns, noch freie Menschen, zur Tafel laden, uns Äpfel in die Münder stecken, damit wir kein Wort mehr geben können und uns dann vom Silbertablett weg verzehren. Bloß die freien Texte, die wir schon lange vorher geschrieben haben, werden ihnen im Halse hängen bleiben. Bloß die freien Texte werden Veränderung hervorbringen und am Ende die Sau sein, die den König sticht. Ein Sprichwort.

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