Foto: Luca Maximilian Kunze
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vierzehn. Sibylle, Marietta, Laura, Harriet.

Ich weiß, wie es ist, wenn alles Unwichtige sich transformiert und wichtig wird. Wichtig, wichtig, wichtig, wichtig, nicht der kleinsten Geste bleibt die Bedeutsamkeit erspart.

Waldboden, Waldboden, Waldboden. Wir gehen auf ihm, der Tritt ist lautlos, wir gehen auf Moos und Moder, Moos und Moder, grün und grau und man möchte ihn streicheln, mit den Händen. Die Hände können nicht streicheln, die Hände sind beauftragt. Meine Hände tragen eine Kiste, das tun sie gewissenhaft und mit Konzentration, die Balance muss stimmen, der Inhalt darf sich in der Kiste nicht verdisbalanciert fühlen, darf sich nicht bewegen. Tot und still hat er zu sein, totenstill, tot und still.

Vor mir geht ein Mann. Seine Tritte sind lautlos wie meine, lautlos im Vergleich dazu, wie Schritte klingen würden, würde man über Kies laufen, oder über Glasscherben. Lautlosigkeit ist ein Mythos. Nicht einmal der Nebel ist gänzlich ohne Laut, selbst der Nebel reibt sich an Bäumen und knickt ab und an ein Ästchen um, nur um zu sehen, ob es schon genug feucht gemacht wurde, von ihm. Wir sind von Nebel umgeben. Er reibt sich ganz ein wenig an uns, während wir, durch den Wald, nun.

Auch der Mann trägt eine Kiste, sie sieht ganz ähnlich aus, wie jene, die ich trage, nur etwas größer, vielleicht etwas schwerer. Wie Kisten für hohe Stiefel sind sie, langgezogen, tief, und ich vermute: aus Holz, aus leichtem Holz, schlicht, von verschlissenem, burgunderrotem Lack überzogen. Keine Särge, es sind keine Särge, bloß Kisten für Stiefel, und auch wenn, dann nur kleine, oder, vielleicht war es bloßer Zufall, dass es diese Kisten sind, man hat sie bestimmt nicht gewissenhaft ausgesucht, für den Anlass. Sie waren bei der Hand. So fühlt es sich an. Wie eine Begebenheit. In keinem Augenblick bedrohlich.

Halbe Torsi sind in den Kisten, halbe Torsi der Frauen des Mannes, der vor mir geht, von Frauen, die er hatte, die er kannte, die er hatte, mit denen er verkehrt hatte, die er einst liebte, geliebt hatte, die mir vorausgingen. Die Köpfe sind abgetrennt, so auch die Arme und unterhalb des Zwerchfells ist auch nichts mehr. Die Lungen und die Herzen und die Schultern sind noch da, hinten die Schulterblätter, vorne die Schlüsselbeine, intakt. Die Schnitte sind nicht ganz glatt, da wurde gesägt, das sieht man, ich weiß nicht, welches Messer, ein grobgezahntes etwa, oder ein feingezahntes, sorgfältig durchsägt, keine Hast, furchtlos und respektvoll. An den Schnitten ist es dunkel, rot-dunkel, violett-braun, Schnittwunden eben, nicht mehr frisch. Und die Haut ist gräulich, bläulich, violetten, grün, alle Farben und ein wenig Erde, als hätten sie eine Weile darin gelegen, vielleicht von Laub und Moos bedeckt, vielleicht einige Wochen in einer Grube, wie man sie aushebt, um Winterkraut darin zu lagern. Sie riechen nach Moder und Grund und ein wenig nach Fleisch, aber mehr nach Pilz, verrottendem Laub, feuchtem Stein.

Körper. Die Brüste sind besonders schön. Es ist wild. In des Mannes Kiste sind zwei, in meiner Kiste zwei, sie liegen eng, und hätten sie Köpfe und würden sie heben, sie würden einander ansehen, so liegen sie da, eine der anderen zugewandt.

Wir gehen langsam, langsam und sagen kein Wort, schon seit vielen Stunden gehen wir, tragend gehen wir, andächtig, tragend, und es wird eine Hochzeit geben. Ich werde die fünfte Frau des Mannes, wir lieben einander. Wir gehen die halben Torsi der vier mir vorausgegangenen Frauen verbrennen. Es gibt ein Krematorium, mitten im Wald, das ist unser Ziel, und ein alter, bärtiger Einsiedler, ein wortkarger Waldschrat, ich bin der Herr des Feuers, so grüßt er und nimmt uns die Kisten aus den Händen, die Hände werden plötzlich schwerelos, eine muss die andere halten. Wir sprechen Gebete, oder Mantren, oder, etwas. Und ich erinnere mich: Ich frage nach den Namen der Frauen. Sibylle, Marietta, Laura, Harriet, sagt er, ohne auf die Kisten zu deuten. Gut. Gut, denke ich. Sibylle. Marietta. Laura. Harriet.

Es ist später Nachmittag, der Nebel ist den Berg hinaufgekrochen, die Luft ist fast schon golden, es duftet. Wir stehen vor dem Ofen, zu dritt stehen wir da und warten, ich weiß nicht mehr, wie lange, ich erinnere mich nicht. Eine Hand des Mannes hat meine Hand gefunden, ich weiß nicht mehr, wie. Hände halten, warten, nicht sprechen, und es dämmert schon, als ich einen Haarreifen aufsetze, mit einem weißen Stück Tüll dran, der Tüll steht versteift ab, ich sehe jung aus, in einem karierten Flanellhemd stehe ich da, so, wie ich es mir schon immer ausgemalt habe, wild. Und: der Wald, oder Las Vegas.

Der Krematoriumsmeister traut uns. Wir verbringen die Nacht in einer kleinen Kammer, neben seiner Hütte. Ein Bett steht darin, als war es schon immer dort gewesen, ein weiches Bett mit rosaroter Tagesdecke. Wie seltsam.
 

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