Foto: Luca Maximilian Kunze
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zwölf. weißt du noch?

kannst du dich erinnern, als du dich vor mich hingestellt hast, kerzengerade wie ein Obelisk, und gesagt hast: 'ich werde jetzt daran denken, etwas zu tun und du hast eine Minute Zeit, zu erraten, was es ist, danach tue ich es. errätst du es nicht, wird es dich unvorbereitet treffen.' das war unser zweites Date, ich hatte dich zum Essen zu mir nach Hause eingeladen. du warst erst fünf Minuten in der Wohnung, da sagtest du das zu mir. zwei Minuten später warst du völlig nackt und bliebst es die ganze Zeit. das war schön. 
 
eine gutbürgerliche Familie, hat deine Mutter einmal gesagt, dass ihr das wärd. und ich habe diesen Ausdruck erst nach Jahren richtig kapiert, dieses 'bürgerlich'. bürgerlich kommt gar nicht von Bürger. so ganz verstehe ich es immer noch nicht, aber ich weiß zumindest, da ist ein Unterschied. deiner Mutter schien das wichtig zu sein. 
 
dass deine Eltern mich gehasst haben, hast du mir nie verraten, weil ich wusste, wo sie wohnten. du hattest Angst, ich könnte ihnen auf die Fußmatte scheißen. später wurde das mein tröstendster Gedanke. wie du um deine und die Fußmatte deiner Eltern fürchtest. wie du jeden Morgen beim Reinholen der Zeitung zuerst auf die Fußmatte siehst. ich habe dich in meinen Augen lächerlich gemacht, das hat die Zuneigung schneller getötet. jetzt tut es mir leid. 
 
weißt du noch, als ich dir erzählt habe, eine Wahrsagerin hätte mir gesagt, du würdest nie Kinder mit mir haben wollen, weil du mich als viel zu schutzbedürftig empfindest, und wie sehr ich geweint habe und wie du am nächsten Tag einen Kindersitz gekauft und eine riesige Zuckermelone hineingesetzt hast? und dann sagtest du: 'das echte Kind dürfen wir aber nicht gleich essen, okay?' das fand ich doof, aber auch lieb, ich weiß nicht. das riesige Kind warst eigentlich du. 
 
das war auch etwas, das ich nie ganz kapiert hab. wie doof du sein konntest und wie frei und unbeschwert. dein gesamtes soziales Umfeld bestand aus spießigen Wichsern, einschließlich deiner beknackten, bürgerlichen Familie. und wenn wir nicht allein waren, wenn wir mit deinen Freunden im Restaurant waren, da warst du obenrum auch ein Wichser, untenrum hast du mich begrapscht, unter der Tischplatte.
 
weißt du noch, das eine mal beim Chinesen, mit Birgit und Franz, als es Sommer war und ich ein kurzes Kleid trug und du es geschafft hast, einen süßsauren Hühnerflügel unter die Tischplatte zu schmuggeln. du hast mit Franz über Aktien gesprochen und mir den Hühnerflügel unters Kleid und ins Höschen gefummelt und mir zugeflüstert: 'wenn du ihn bis nach Hause bringst, darfst du mit mir machen, was du willst.' zuhause angekommen hab ich dich den Flügel essen lassen, da warst du noch Vegetarier. 
 
und dann, weißt du noch, eine Woche später, als ich von einer schweren Uniprüfung nach Hause kam und fand dich nackt auf meinem Esstisch liegend, über und über mit Speckstreifen belegt. ich habe erst gebrüllt vor Überraschung und dich danach überall geküsst, dort, wo Speck lag, und wo keiner lag. du hast unter meinen Liebkosungen stolz verkündet, dass du kein Vegetarier mehr sein willst, und wir beschlossen, den 21. August jedes Jahr als den Tag des Specks zu feiern. kam nie dazu.
 
und weißt du noch, als es den Skandal um die geschlachtete Giraffe gab und wir am nächsten Tag in den Zoo gingen, zu den Giraffen, und uns gar nicht mehr einkriegen konnten vor Lachen über unsere genialen Schlachtpläne und die Kochrezepte, die wir uns ausdachten? manchmal frage ich mich, ob wir überhaupt gemeinsame Interessen gehabt haben, abgesehen von Essen und Sex. vielleicht haben deine Eltern das geahnt und dich deshalb dazu gedrängt, mich zu verlassen.
 
und gewundert hat es mich, dass ausgerechnet sie es waren, die mich über deinen Tod informierten, aber vielleicht hattest du das so verfügt. 
und weißt du noch, wie wir es mal betrunken auf einem Grab treiben wollten aber keins fanden, das gemütlich aussah, überall grässliche Blumen und Engelsskulptürchen. und wie wir dann ein Dokument aufsetzten, in dem wir verfügten: auf unserem Grab soll weiches, grünes Moos wachsen und es müsste eine kleine Schatulle aus Marmor geben, in der immer frische Kondome liegen, und auf dem Grabstein sollte kleingemeißelt unser Einverständnis stehen, für jeden, der es möchte, dort Sex zu haben, und wie wir uns vorstellten, dass unser Grab einen wahren Sextourismus auslösen würde. 
deine Eltern haben den Zettel wohl nicht gefunden, auf deinem Grab wachsen stacheliger Efeu und Erika. jedes Jahr im August besuche ich dich. und muss kichern, wenn ich mir vorstelle, deine Eltern würden zufällig noch am gleichen Tag vorbeikommen und den Efeu mit Speckstreifen belegt vorfinden.
 

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