Foto: Luca Maximilian Kunze
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sieben. Geisterselbstreste.

Ich gehe nicht spazieren, ich gehe nie spazieren, ich gehe suchen, ich folge Spuren, ich bin eine pfotenlose Echse, die an Ecken und Kanten entlang sich windet, von Punkt A zu Punkt B ist es ein bestimmter Rhythmus an Ecken und Kanten, an Wendungen und Drehungen, es ist ein Code. Diese Stadt ist voller Spuren, die nie verwischen. Straßen, gewachsen, Äste, Verästelungen, bis in feinste Äderungen, Schritte, Zellen, Ziele. Ziele, Ziele, Ziele, überall Ziele, und ständig stolpere ich über einen Draht, über eine Naht, einen Faden, den ich einst selbst gespannt habe, von Punkt A nach Punkt B. Hallo, Punkt A, das bin ich. Punkt B, das sind 

 

die, deren Namen ihre fragilsten Komponenten sind, alles andere an ihnen - ihr Geruch, das Geräusch, das sie machen, die Eigenheiten, die winzig kleinen Eigenheiten in ihren Gesten, ihre Temperatur und das, was sie an ihre Umgebung abstrahlen, all das ist ewig. Nie vergesse ich, ich vergesse nie. Ich brauche von jedem Teil nur ein winziges Bisschen, einen Bruchteil einer Sekunde eines Films, der ihr Leben ist, während sie noch am Leben sind, während sie mir nah sind. Nachdem ich mir alle Teilchen genommen und sie archiviert habe, können sie vergehen, können ihre Körper vergehen, ihre Töne verklingen, verloren sind sie nicht, solange ich da bin, und ich, ich werde doch ewig

 

gib mir einen Plan, gib mir eine Aufgabe, wenn du mich in die Stadt ziehst, gib mir eine Aufgabe, vielleicht, dich zu begleiten, etwas zu holen, etwas zu bringen, auf jemanden aufzupassen. Wenn ich keine Aufgabe habe und es mich in die Stadt zieht, dann kann das nur schlimm ausgehen. Du kannst dich dann verstecken und mich beobachten, wie ich mich aufführe, aber schön ist das nicht. Schön ist das nicht, zu beobachten, wie ich mich in eine pfotenlose Echse verwandle. Da trinke ich, trinke ich mehr, da wird mein Körper elastisch, dann kommt noch mehr Zug drauf. Irgendwann hoch, und gleich wieder runter, zu Boden, da habe ich die Spur meist schon längst gerochen. 

Hier kannst du mich vielleicht noch aufhalten, wenn du gnädig bist, aber du kannst mir auch einfach folgen. Ich bezahle meinen Wein, schlüpfe in meinen Mantel, nehme meine Tasche und gehe los. Straßen, Straßen, als ginge ich spazieren, Nachtspaziergang, nichts deutet auf ein Ziel, vielleicht nach Hause. Ich zeige keine Eile, ich habe keine, da wartet niemand. Bleibe manchmal stehen, sehe mir das Detail einer Hausfassade an, streiche mit der Hand darüber, streiche über die Kante, wenn ich um die Ecke biege. 

 

Ziele, Ziele, Ziele, ein Ziel. Ein Ziel, ein Ziel ohne Zeit, ohne Wurzeln ins Reale, hier und da tönt noch etwas, leuchtet etwas auf, eine durchsichtige Gestalt, die sich durch die Stadt windet. Bald schon lehnt sie in einem dunklen Hauseingang, lauscht, das Pochen, ist das

jemand, der an ein Ziel gelangt ist, das es nicht gibt. 

jemand, den es nicht gibt, an einem Ort, dessen Bedeutung genauso körperlos verloren ist, wie die auf dem Boden kauernde Gestalt -

jemand, in verwirrter Verzweiflung bemüht, winzige Splitter zu einem Bild zu fassen, wieder, erneut, denn verloren ist nichts, und irgendwie funktioniert es immer noch, oder funkt immer noch, Geisterselbstreste, 

was du mir gegeben hast, einst, das habe ich behalten. Die Spuren vergehen nicht, da werde zuvor noch ich selbst vergangen sein, gegangen, davonspaziert sein, mit funkelnden Splittern in den Manteltaschen. Gehen, um immer wieder zurückzukehren, immerzu die Spuren zu riechen, sie zu verfolgen, sie ziehen mich an Ziele. Punkt B, Punkt B, ich suche Punkt B, ankommen, ankommen.

 

> Ilitcheva

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